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Wer hat hier was mit wem? Netzwerke der deutschen Musikindustrie

In dieser Folge von SpacEconomics diskutiert Björn ‚Bjarne‘ Braunschweig mit Kai Marquardt und Dr. Christoph Mager vom Karlsruher Institut für Technologie über die deutsche Musikindustrie und ihre Produktionsnetzwerke. Dabei geht es unter anderem darum…

  • was sich genau hinter diesen Produktionsnetzwerken verbirgt,
  • an welchen Standorten sie sich konzentrieren,
  • wie sich die Produktion und die Netzwerke im Laufe der Zeit verändert haben,
  • warum der Besitz von Urheberrechten in der Musikindustrie eine so große Rolle spielt und
  • wieso lokale Ökosysteme auch in einer globalen Musikindustrie bedeutsam bleiben.

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Dr. Christoph Mager gehört zu den wenigen Pionieren, welche die Forschung zur Musikindustrie in der deutschsprachigen Geographie salonfähig gemacht haben. Entsprechend verwundert es kaum, dass Kai Marquardt ihn als Betreuer für seine Masterarbeit zu urbanen Produktionsnetzwerken der Musikindustrie ausgewählt hat. Mittlerweile arbeitet Kai – wie Christoph Mager auch – am Karlsruher Institut für Technologie. Anders als Christoph ist er jedoch nicht mehr in der Kultur- und Sozialgeogrpahie Zuhause, sondern als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Schulpädagogik und Didaktik tätig, nachdem er einen zweiten Master in Informatik abgeschlossen hat.

Für das von Björn Braunschweig und Benjamin Klement moderierte STANDORT-Themenheft „Räume der Musikindustrie“ haben die beiden die Arbeit an Produktionsnetzwerken der deutschen Musikindustrie erneut in Angriff genommen. Die Chance hat Björn Braunschweig ergriffen und mit den beiden über ihre gemeinsame Leidenschaft, die Musikindustrie, gefachsimpelt.

„Die Städte werden durch den Austausch von den Akteuren und Institutionen, die an einer Albumproduktion beteiligt sind, vernetzt“
– Kai Marquardt –

Ein Album entsteht auch in Zeiten von Do-It-Yourself-Mentalitäten und -Möglichkeiten selten an nur einem Standort. Vielmehr sind an einer Albumproduktion eine ganze Reihe von Standorten beteiligt. Diese werden durch die AkteurInnen und Institutionen vernetzt, die miteinander zusammenarbeiten, um ein Album Wirklichkeit werden zu lassen. Zu diesen AkteurInnen gehören im Bereich der Plattenfirmen neben den sogenannten Majors, wie Sony, Warner und Universal auch die sogenannten Indies, also Independent Labels, die unabhängig von den „drei Großen“ agieren.

Für die Gesaltung der Produktionsnetzwerke sind allerdings vor allem auch die MusikerInnen selbst, sowie ProduzentInnen und Tonstudios. In den Tonstudios konzentriert sich dabei der Wertschöpfungsprozess. Ihre Bedeutung für Städtenetzwerke hat 2012 auch Allan Watson (2012) erkannt. Auf seiner Arbeit und seinen Methoden baut die Untersuchung von Kai und Christoph auf.

Eine Darstellung der Produktionsnetzwerke von Alben aus den Deutschen Albumcharts 2021/2022 von Kai Marquardt und Christoph Mager. Gut zu sehen ist die Konzentration an den internationalen Standorten Los Angeles, Nashville, New York und London. (Quelle: Kai Marquardt 2023)

Bei einzelnen Songs ist die Anzahl der miteinander zusammenarbeitenden AkteurInnen zumeist noch überschaubar. Bei der Produktion ganzer Alben nimmt sie jedoch deutlich zu. Durch die entstehenden Austauschbeziehungen, die physischer oder virtueller Art sein können, wird eine Vielzahl an Städten im Produktionsprozess vernetzt. Die daraus folgenden urbanen Netzwerke der Musikproduktion lassen sich dann auch graphisch darstellen. Dafür haben sich Kai und Christoph die Alben in den deutschen Albumcharts in den Jahren 2021 und 2022 angeschaut. Zu den produktivsten Städten in den Netzwerken gehörten demnach zwischen 2021 und 2022 Los Angeles, New York, Berlin und Nashville.

Die Größe einer Stadt reicht allein aber nicht aus, um ihre Rolle in dem Netzwerk zu verstehen. Denn während Städte wie München im Ranking nicht vertreten sind, taucht stattdessen beispielsweise auch Karlsruhe auf. Das liegt an sogenannten Konvergenzschwerpunkten. Diese entstehen, wenn sich einzelne Arbeitsschritte in bestimmten Städten bündeln. In Karlsruhe ist dieser Arbeitsschritt das Mastering, also der letzte Produktionsschritt eines Albums, in dem alle Titel perfekt aufeinander abgestimmt und an den gewünschten Klang herangebracht werden. So können einzelne AkteurInnen, wie z.B. der Sound-Ingenieur in Karlsruhe, es schaffen, dass neben Berlin, Hamburg und Nashville eben auch Karlsruhe auf einer Karte auftaucht.

„Im Zuge von technologischer Innovation und Digitalisierung ist es eben möglich, dass ein Dude in Heilbronn in seiner Wohnung hockt und auf einmal eine Anstellung bei der 808 Mafia in Los Angeles bekommt.“
– Björn Braunschweig –

Im Gegensatz zu der digitalen und globalen Musikindustrie, die wir heutzutage kennen, waren die Anfänge der Musikindustrie noch durch eine viel stärkere Konzentration der einzelnen Produktionsschritte gekennzeichnet. Das war in erster Linie auf die kapitalintensiven Technologien zurückzuführen, die nicht überall anzufinden waren. Der technische Wandel führte dann im Laufe der Zeit dazu, dass immer mehr Personen an immer mehr Orten der Zugang zur Musikproduktion ermöglicht wurde. Für diesen Zugang spielen Internet und dazugehörige Plattformen eine zentrale Rolle.

Allerdings sind auch gegenläufige Dynamiken zu erkennen, die von den angesprochenen Major Labels ausgehen. Unterschieden werden kann hier in horizontale Konzentration, also die Übernahme kleinerer Labels, und vertikale Konzentration, womit die Integration weiterer Wertschöpfungsschritte gemeint ist. Hier zeigt sich, dass obwohl auch kleinere kreativwirtschaftliche Standorte vermehrt an Produktionsnetzwerken teilnehmen, die grundsätzlichen Machtstrukturen erhalten geblieben sind. Wichtig dafür war aus Sicht der Majors nicht zuletzt die Rekonfiguration der Produktionsnetzwerke mit einem massiven Bedeutungszuwachs im Bereich der Musikrechte und des Copyrights.

Musikrecht bilden den Grundstein der modern Musikindustrie. Denn jedes Mal, wenn ein Song auf einer Streaming-Plattform gehört wird, verdienen die Personen, denen die Rechte gehören, ein wenig Geld. Deswegen wird auch von der Musikindustrie als Copyright-Industrie gesprochen (Wikström 2019). Die Major Labels häufen diese Rechte wiederum an, indem z.B. kleinere Labels übernehmen. Ihre Vormachtstellung erlaubt es ihnen zudem, eigene Standards, z.B. im Hinblick darauf, wie viel mit einem Klick auf Streaming-Plattformen verdient wird, auch international durchzusetzen. Doch auch diesen Trends zum Trotz werden regionale Verbundenheit und lokale Ökosysteme ein wichtiger Bestandteil der Musikindustrie bleiben.

„Globale Prozesse pausen sich so auf die einzelnen Orte durch oder die einzelnen Orte produzieren und reproduzieren diese globalen Prozesse. Das ist banalste Globalisierungsgeographie – das Globale ist nicht ohne das Lokale zu haben.“
– Christoph Mager –

Das ergibt sich bereits daraus, dass das Globale nicht ohne das Lokale möglich ist. Und diese Interdependenz zwischen globalen und lokalen Strukturen war und ist auch einer der Gründe dafür, dass kleinere Städte weiterhin in den Netzwerken bestehen und bestimmte Standorte sich festigen. Denn auch wenn sie aufgrund der großen Maßstabsebene in den Darstellungen globaler Netzwerke untergehen können, sind globale Prozesse ohne sie zum Teil nicht möglich.

Ein Ausschnitt der oben dargestellten Karte zeigt die vielfältige Vernetzung innerhalb Deutschlands und zwischen den europäischen Ländern. Wenngleich London wichtig bleibt, treten auch Standorte wie Stockholm, Berlin und Hamburg aber eben auch Karlsruhe hervor (Quelle: Kai Marquardt 2023)

Ein Beispiel für die Beständigkeit des Lokalen sind auch die sogenannten „Eine-Stadt-Produktionen“ in der Untersuchung von Kai und Christoph. Hier finden sämtliche Arbeitsschritte innerhalb eines Stadtgebietes statt. Entscheidend dafür ist jedoch, wie die ortsspezifischen Ökologien genau aussehen. An der Stelle liefern Pfadabhängigkeiten, Kontextualität und Zufall, also Perspektiven aus der relationalen Wirtschaftsgeographie, mögliche Erklärungsansätze. Gerade wenn die Bedeutung eines Standortes nicht durch Zufälle, also Einzelpersonen, geprägt wird, rücken die sozialen Netzwerke und damit die Kontextualität in den Vordergrund.

Diese Kontextualitäten setzen sich aus Netzwerken zwischen den KünstlerInnen und Personen im Umfeld der Musikproduktionen ebenso zusammen wie der ZuhörerInnenschaft, bestimmten Szenen oder Governance-Strukturen, also Förderprogramme, welche die Städte bereitstellen. Ebenso wichtig ist in dem Zusammenhang die materielle Ausstattung und damit das Vorhandensein von Studios, Auftrittsmöglichkeiten und Treffpunkten. Denn erst hier finden die genannten Netzwerke auch Bodenhaftung und Raum zur Entfaltung.

„An diesen Orten kommen die Dinge multiskalar zusammen, verschiedene Einflüsse kommen an einem Ort zusammen, aber entscheidend ist auch, was dieser Ort materiell, sozial und affektiv zu bieten hat.“
– Christoph Mager –

All diese Aspekte und Vieles mehr finden sich auch in dem angesprochenen Themenheft „Räume der Musikindustrie“. Aus diesem Heft sind bereits zwei Artikel online erschienen: Der Artikel „Standorte der deutschen Musikindustrie in globalen Netzwerken der Musikproduktion“ von Kai und Christoph und „Nachtökonomie als Themenfeld der kommunalen Wirtschaftsförderung – Status quo, Herausforderungen und Förderansätze“ von Jens Konermann. Es dürfte somit nicht die letzte SpacEconomics-Folge zum Thema „Musikindustrie“ gewesen sein.

Gäste: Kai Marquardt und Dr. Christoph Mager
Redaktion und Moderation: Björn Braunschweig
Produktion: Björn Braunschweig und Theodor Langer
Shownotes: Björn Braunschweig und Theodor Langer

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