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01 | Plagwitz

Leipzig | Eine Stadt im Wandel

Ein Podcast von Jana Boltersdorf, Antonia Ramljak, Lucas Lochner und Laurenz Bleckmann. Aufgenommen im Sommersemester 2022 im Rahmen einer Lehrveranstaltung über sozialempirische Arbeitsmethoden in der Humangeographie.

Die Stadt Leipzig entwickelt sich rasant weiter. Die Entwicklung einer Stadt wirkt sich direkt auf die Bewohner:innen aus. Seit 2012 durchlebt Leipzig eine rasante Entwicklung. Diese Entwicklung wird von uns genauer beobachtet und analysiert. Welche Auswirkungen lassen sich direkt im Gespräch mit Bewohner:innen und in der Analyse feststellen. Wie reagiert die ansässige Bevölkerung auf Veränderung und was wird gefordert. Auf all diese spannende Aspekte geht die Podcastfolge ein und soll den Zuhörer:innen einen Zugang zu diesem Thema geben.


Der Podcast sowie die nachfolgenden ShowNotes wurden von Jana Boltersdorf, Antonia Ramljak, Lucas Lochner und Laurenz Bleckmann in Eigenarbeit im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu sozialempirischen Arbeitsmethoden in der Humangeographie erstellt.


The Long Read

Leipzig ist die zweitgrößte Stadt Ostdeutschlands. Sie wächst extrem schnell. Tatsächlich wächst Leipzig noch immer jedes Jahr um knapp 5.000 Einwohner*Innen (Statistik und Zahlen 2022). An zwei Wochenenden haben wir, eine Gruppe von Studierenden, uns auf den Weg gemacht, um im Rahmen einer wissenschaftlichen Feldstudie diese Entwicklung zu untersuchen. Genauer betrachteten wir den Stadtteil Plagwitz, im Westen Leipzigs. Anhand von einer Kartierung der Karl-Heine-Straße, Passant*Innenbefragungen und viel Recherche lernten wir verschiedene wissenschaftliche Forschungsmethoden kennen. Im Stadtteil konzentrierten wir uns besonders auf lokale Ökonomien und Gentrifizierung. Was wir dabei rausgefunden haben und welche spannende Entwicklung Leipzig in den letzten Jahren gemacht hat, wird in diesem Podcast analysiert. 

Entwicklung Leipzigs

Leipzig ist die zweitgrößte Stadt in Ostdeutschland nach Berlin und die größte Stadt Sachsens. Ende März 2022 wohnten 608 651 Menschen in Leipzig. Der Wanderungssaldo betrug im Jahr 2021 +4049. Das ist bereits ein ziemlich großer Zuwachs der Bevölkerung, jedoch nicht die stärkste die Leipzig erlebte. In den Jahren 2012 bis 2017 erlebte die Stadt einen förmlichen Bevölkerungs-Boom. Jährlich verzeichnete Leipzig ein Plus von über 10 000 Einwohner*Innen mit dem Hochpunkt 2015. Im Jahr 2015 betrug der Wanderungssaldo 16 669, was übrigens einer der höchsten Wanderungssalden unter den deutschen Großstädten war. Jedoch nimmt der Wanderungssaldo seit dem Jahr für Jahr ab. Zwar gibt es immer noch ca. gleich viele Fortzüge wie in den Jahren 2015/2016, jedoch gibt es weniger Zuzüge. Trotzdessen: die Stadt wächst stetig und erreicht jedes Jahr einen höheren Bevölkerungsbestand und die positiven Entwicklungstrends sind markant.

Abb. 01: Darstellung der Anzahl der Übernachtungen in Leipzig in verschiedenen Hotelformen
(Hotels = Ketten, große Hotels; Hotel garní = kleinere, Privatgeführte Hotels/Unterkünfte) auf Basis von Daten der Stadt Leipzig (2022).

Leipzig hat sich in den letzten Jahren zu einer lebenswerten und schönen Stadt entwickelt und zieht mit seiner Attraktivität viele neue Einwohner*Innen an. Mit dem Leipziger Flughafen, der Universität, der Messe und vielen weiteren Wirtschaftsstandorten hat Leipzig, neben einem schönen Stadtbild mit historischem Erbe auch wirtschaftlich und ausbildungs- und arbeitstechnisch etwas zu bieten. Bei der kommunalen Bürgerumfrage geben jedes Jahr durchschnittlich 70 bis 80 Prozent der Einwohner*Innen an, dass sie „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ mit ihrer Lebenssituation sind. Gerade im Osten Deutschlands, vor allem in Thüringen, Sachsen und Sachsen- Anhalt zählt es, mit einigermaßen bezahlbaren Mietpreisen und vielen Möglichkeiten, als eine lebenswerte Großstadt den Menschen auch langfristig eine Zukunft zu  bieten.

Charakter von Plagwitz

Plagwitz ist ein Stadtteil im zentralen Westen von Leipzig, der im Jahr 2021 eine Fläche von 173 Hektar und eine Bevölkerung von 16.660 Menschen beherbergte (Ortsteilprofil Plagwitz 2022). Das Durchschnittsalter ist mit 37,8 Jahren niedriger als das Durchschnittsalter von Gesamtleipzig und vor allem die Altersgruppe der der 25- bis 40-Jährigen ist stark überrepräsentiert (Einwohnerentwicklung 2019). Plagwitz ist durch ein starkes Bevölkerungswachstum gekennzeichnet und gilt generell als angesagtes und hippes Stadtviertel (Schmitt, Amann 2014). Entsprechend gilt Plagwitz als ein Zentrum der Aufwertung in Leipzig, das diesbezüglich stark von Gentrifizierungsprozessen betroffen ist (Schmitt, Amann 2014). Das Bildungsniveau ist mit 2017 66 Prozent Menschen mit Abitur höher als in Gesamtleipzig. Ebenso liegt das Durchschnitts-Nettoeinkommen pro Person über dem Wert der Stadt Leipzig (Ortsteilprofil Plagwitz 2022). Auch die Mieten sind hier höher. Der Migrant*Innenanteil lag 2021 bei etwa 16 Prozent und ist somit vergleichbar mit dem von Gesamtleipzig (Ortsteilprofil Plagwitz 2022, Statistik und Zahlen 2022).

Abb. 02: Auszg aus Ergebnissen der Befragung im Stadtteil Plagwitz in Leipzig. Eigene Darstellung.

Die Wirtschaftsstruktur im Stadtteil kann gut exemplarisch anhand unserer durchgeführten Kartierung der Karl-Heine-Straße beschrieben werden: Wir finden eine hohe Gastronomisierungsquote vor, mit hauptsächlich lokal verankerten Betreiber*Innen und einem hohen Anteil an Außengastronomie. Restaurants und Cafes sind dominant. Im Einzelhandel lassen sich einige Betriebe der Kreativwirtschaft finden und auch darüber hinaus dominieren spezialisierte Betriebe. Hochgpreisige und exklusive Angebote, insbesondere in der Gastronomie stehen einem zum Teil baufälligen und maroden Erscheinungsbild der Straße gegenüber.

Die Versorgungssituation wird den von uns befragten Anwohner*Innen mehrheitlich als zufriedenstellend wahrgenommen. Auch mit dem kulturellen Angebot, der Attraktivität der Grünflächen und der Verkehrsanbindung sind die meisten Befragten zufrieden (Abb. 02). 

Entwicklung von Plagwitz

Plagwitz galt vor der Wende als hochindustrielles Stadtteil mit Tausenden Abeitsplätzen in der ansässigen Industrie (Geschichte Lindenau und Plagwitz 2021). Nach der Wende setzte schlagartig eine Deindustrialisierung ein. Entscheidend für die Entwicklung Plagwitz‘ ist das Projekt „Plagwitz auf dem Weg ins 21. Jahrhundert – Ein Beispiel für nachhaltigen Stadtumbau“, das auf der Expo2000 vorgestellt wurde und als Beginn der Gentrifizierung in Plagwitz gilt (Riedel 2005). Im Rahmen dieses Projektes wurde Plagwitz umgestaltet: Ein Technologiepark wurde angelegt, Grünflächen entstanden, Start-Ups und Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft siedelten sich im Viertle an und Industriebrachflächen wuden umgenutzt (Schmitt, Amann 2014). Entsprechend setzte zunächst eine symbolische Gentrifizierung ein, denn die durchgeführten Maßnahmen erhöhten die Attraktivität des Viertels. Es kam zu einem starken Bevölkerungswachstum, der bis heute anhält: Vom Jahr 2000 bis heute hat sich die Bevölkerung in Plagwitz mehr als verdoppelt (Ortsteilprofil Plagwitz 2022). Ein besonders starkes Wachstum fand im Jahr 2013 vor, in dem Plagwitz ein Wanderungssaldo von 842 hatte (Ortsteilprofil Plagwitz 2022). Heute gilt Plagwitz als ein Hotspot für Sanierung und Gentrifizierung in Leipzig (Online-Atlas 2021). Das Viertel ist angesagt und attraktiv.

Abb. 03: Auszug aus Ergebnissen der Befragung im Stadtteil Plagwitz in Leipzig. Eigene Darstellung.

Zwischen 2012 und 2021 hat sich das Durchschnittsalter um 0,8 Jahre abgesenkt. Die Jugendquote ist um 3,7 Prozentpunkte angestiegen und die Altenquote hat sich um 2,1 Prozent abgesenkt. Die Einwohner*Innendichte und der Migrant*Innenanteil haben sich stark erhöht. Auch die Mietpreise sind angestiegen uns steigen weiterhin (Ortsteilprofil Plagwitz 2022). Gleichzeitig hat sich die SGB-II-Quote von 18,2 auf 8,9 Prozent abgesenkt (Ortsteilprofil Plagwitz 2022). Diese Bevölkerungsentwicklungen können als Indikatoren für den Prozess der Gentrifizierung herangezogen werden. Es wird an dieser Stelle deutlich, dass Plagwitz sich von einem Arbeiter*Innen-dominierten Viertel nach der Wende (Riedel 2005) in ein attraktives Viertel gewandelt hat, in dem insbesondere Besserverdienende leben. Zwischen 2013 und 2021 ist das durchschnittliche persönliche Einkommen um 757 Euro angestiegen (Ortsteilprofil Plagwitz 2022).

Abb. 04: Auszug aus Ergebnissen der Befragung im Stadtteil Plagwitz in Leipzig. Eigene Darstellung.

Versorgung der Bevölkerung in Plagwitz

Zur Beantwortung dieser Frage wird das Konzept der 15 Minuten Stadt herangezogen und genauer betrachtet. Die 15 Minuten Stadt zeichnet sich dadurch aus, dass alle wichtigen Anlaufstellen für die Stadtbewohner:innen innerhalb von rund 15 Minuten erreichbar ist. Dazu sollte das Auto nicht genutzt werden. Dies führt auch dazu, dass die Stadt bevorzugt Fußgänger:innen und Fahrradfahrer:innen Platz bieten und die Innenstadt möglichst autofrei gestaltet ist. Der Verkehrslärm und die Luftverschmutzung werden erheblich reduziert und die Lebensqualität würde immens steigen. Auf der Internetseite „15-minuten-stadt.de“ kann Auswman eine Stadt auf die Anforderungen prüfen. In sechs verschiedenen Kategorien lässt sich maximal ein Punkt erzielen. Die Karl-Heine-Straße, der Ort unsere Untersuchung, erlangt in allen sechs Kategorien die volle Punktzahl und würde somit die Anforderung erfüllen. Die eigene Wahrnehmung unterstützt dieses Ergebnis. Die Anbindung an den Stadtteil/Straße mit der Bahn war sehr gut, ebenso wie die Versorgung mit Lebensmittel. Der Stadtteil bietet auch genug Möglichkeiten der Bildung, Erholung und Freizeit. Diese Annahme bestätigen auch die von uns geführten Interviews im Stadtteil.

Die Aussagen über die Versorgung waren größtenteils positiv. Aussagen über die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln waren meist äußerst positiv. Ebenso berichteten die meisten Befragten davon, dass sie zum Einkaufen von Lebensmitteln, Anziehsachen usw. nicht den Stadtteil verlassen müssen. Besonders hervorgehoben wurde die Versorgung mit Restaurants, Kneipen und Cafés, die besonders von der jungen Bevölkerung als besonders positiv empfunden wurde. Immer wieder wurde angesprochen, dass die Versorgung durch Mülleimer sehr ungenügend ist. Dies führt dazu, dass Parks oder Wiesen als sehr dreckig wahrgenommen werden. Dies fiel auch uns bei der Begehung des Gebiets auf.  An dem Wochenende unsere Befragung haben wir  ebenso viele Tourist:innen befragt,die ein nahelegendes Chorfest besuchten. Auch hier wurde zum größten Teil berichtet, dass sie die Versorgung des Stadtteils als sehr angenehm empfunden wird. Festhallten kann man an dieser Stelle, dass die Stadt Leipzig die Anforderungen einer 15- Minuten Stadt erfüllt und die Versorgung der ansässigen Bevölkerung äußerst gut ist.

Auswirkungen der Veränderung des Stadtteils

In Plagwitz sind Auswirkungen von Gentrifizierungsprozessen stark spürbar. Insbesondere das Verschwinden von kreativen Freiräumen wurde hier auch von Befragten als relevant benannt: Ein Anlaufort für Kulturschaffende im Plagwitzer Westwerk wude 2019 durch die Neueröffnung des Konsums verdrängt, was zu politischen Konflikten und vandalistischen Ausschreitungen führte (Daniel, Nößler 2019). Szene-Clubs und Kult-Läden wurden verdrängt (Daniel, Nößler 2019) und über das derzeit politisch geplante Neubauprojekt auf einer Freifläche am Plagwitzer Bahnhof wird politisch scharf diskutiert (Gute Durchmischung? 2020). Ein fortgeschrittener Gentrifizierungsprozess führt also in Plagwitz zu Zielkonflikten und sozialen Unruhen. Da Gentrifizierung langfristig auch soziale Segregation verstärkt (Alisch 2018), ist anzunehmen, dass soziale Spannungen im Stadtviertel auch zukünftig spürbar sein werden. Durch ein nach wie vor anhaltendes Bevölkerungswachstum in Plagwitz rücken zunehmend Räume in den Fokus der Immobilienwirtschaft, die bislang als ungeeignet galten (Puppe 2017).

Auch die von uns durchgeführte Befragung bezüglich der Veränderungen im Viertel deckt sich zum Teil mit diesen Entwicklungen. 91 Prozent der Befragten nehmen einen Mietanstieg wahr, 81 Prozent der Befragten bewerten das als schlecht oder sehr schlecht für die Bewohner*Innen. Ein Anstieg von Tourist*Innen und Neubauprojekten im Stadtviertel wird hingegen als sehr ambivalent bewertet. Die Verbesserung des Zustandes von Wohnhäusern, die von 70 Prozent der Befragten wahrgenommen wird, wird von 61 Prozent als gut oder sehr gut bewertet. Dass das Preisniveau in der Gastronomie eher als angestiegen wahrgenommen wird, wird von 57 Prozent der Befragten als schlecht oder sehr schlecht bewertet.

Auch in der Wahrnehmung der Befragten bezüglich der Entwicklung in Plagwitz sind Gentrifizierungserscheinungen also durchaus präsent. Diese werden jedoch nicht als ausschließlich negativ bewertet, wie die ambivalente Bewertung von einer zunehmenden Anzahl an Tourist*Innen und Neubauprojekten sowie von der Verbesserung der Wohnhäuser deutlich macht. In den von uns erfassten Verhaltensänderungen der Befragten spiegeln sich diese Entwicklungen allerdings nicht wider. Es muss hier festgehalten werden, dass aufgrund der kleinen Befragungsmenge keine signifikanten Tendenzen bezüglich der Veränderungen des Verhaltens der Bevölkerung deutlich werden. Eine Mehrheit der Befragten hat in sämtlichen Kategorien angegeben, dass sich ihr Verhalten in den letzten 5 Jahren nicht verändert hat. Es ist eine Normalverteilung um die Mittelkategorie erkennbar.

Abb.05: Nettoeinkommen in den verschiedenen Stadtteilen (Quelle: Stadt Leipzig)
Abb.05: Median der Wohnungsmieten in den verschiedenen Stadtteilen (Quelle: Stadt Leipzig)

Ganz generell ist das Thema Verdrängung sowohl bezogen auf Wohnraum als auch bezogen auf gastronomische Einrichtungen in Plagwitz präsent. Ein Anwohner hat uns erzählt, dass ein Nahversorgungsbetrieb zugunsten einer Biokette in der Karl-Heine-Straße verdrängt wurde. Eine andere Anwohnerin wiederum hat uns von dem Verschwinden einfacherer Dienstleistungsbetriebe erzählt, die die Mieten für den Büroraum nicht mehr zahlen konnten. Die Veränderung der lokalen Wirtschaftsstruktur ist also sicherlich auch eine Folge des Gentrifizierungsprozesses in Plagwitz (Glatter, Sturm 2020). Vor allem Nahversorger und lokale Ökonomien werden neben Kreativ- und Kultbetrieben zugunsten einer hochpreisigen und spezialisierten Gewerbestruktur verdrängt (Friedrichs, Blasius 2016).

Die beschriebenen Gentrifizierungsentwicklungen sind insbesondere auch für die politische Akteure eine Herausforderung, die das Ziel der nachhaltigen Stadtentwicklung verfolgen. Es gilt zahlreiche Zielkonflikte abzuwägen (Julke 2022a, Julke 2022b, Julke 2022c), sowie sozialen Wohnraum zu schaffen, um Segregationsprozessen entgegenzuwirken. Die heftige Reaktion auf die Verdrängung kreativer Freiräume im Hinblick auf das Westwerk in Plagwitz zeigt, dass Verdrängungsprozesse gesellschaftliche Sprengkraft entfalten können, die von politischen Akteuren adressiert werden muss. Ob die Entwicklungen als positiv oder negativ wahrgenommen werden, lässt sich nicht allgemein konkludieren. Beschriebene negative Konsequenzen von Gentrifizierungsprozessen stehen als ambivalent oder positiv wahrgenommenen Prozessen gegenüber: Verbesserung von Versorgung und Erscheinungsbild, wirtschaftliche Attraktivität sowie eine mögliche Aufwertung von Erholungsflächen sind hier zu nennen. 

Zusammenfassung und Fazit

Plagwitz unterliegt einem Wandel, der aller Wahrscheinlichkeit noch anhalten wird. Diese fortschreitende Gentrifizierung in Plagwitz hinterlässt ihre Spuren. Wie zuvor an verschiedenen quantitativen Indikatoren beschrieben und durch qualitative Analyse der Geschehnisse aufgezeigt, lässt sich durch wissenschaftliche Untersuchung ein Bild von den Veränderungen in Plagwitz zeichnen. Alleine in der Altersstruktur des Stadtteils, in dem 25- bis 40-Jährige im Vergleich stark überrepresentiert sind (Einwohnerentwicklung 2019) lässt sich ein eindeutiger Indikator für Gentrifizierung finden. Parallel dazu, aber nicht unabhängig davon kam es zwischen 2012 und 2021 zu einer Explosion im Nettoeinkommen (Haushaltseinkommen 2021), was implizit auf eine Aufwertung des Stadtteils hindeutet. Unter den Befragten, die aus dem Stadtteil kamen, bestanden gleichzeitig Ängste vor Wohnraummangel, worauf auch eine sich verlängernde Wohnzeit in den Wohnungen hindeutet.

Mit Gentrifizierung geht eine Segregation einher. In Plagwitz findet diese, wie eben beschrieben, eindeutig anhand von Einkommen und Alter statt. Bei unseren eigenen Beobachtungen fiel auch die ethnische Diversität der Gastronomie auf und Plagwitz’ Ausländeranteil und Migrantenanteil ist in den letzten Jahren langsam gestiegen, ohne eine erkennbare Kehrtwende oder einen Umbruch (Migranten & Ausländeranteil 2021). Somit gibt es zumindest bisher keine klaren Anzeichen auf eine starke ethnische Segregation.

Stattdessen lässt sich aber eine klare Veränderung in der Struktur der Ökonomie und der Versorgung feststellen, so gaben Anwohner an, dass Gastronomie teurer wird und der lokale Einzelhandel ist stark durch Bio-Ketten geprägt. Wie zuvor aber auch beschrieben, sind die Anwohner mit ihren Möglichkeiten zur Versorgung zufrieden. Laut der Befragten ist die generelle Anzahl an Lebensmittelgeschäften zwar nicht gestiegen, aber die Preise in Gastronomiebetrieben sind stark gewachsen. Und während die erste Entwicklung eher mit teils/teils bis positiv begegnet wird, ist der Preisanstieg in Gastronomiebetrieben unter den Befragten sehr unbeliebt.

Die Frage, welchen Einfluss Tourismus auf die Entwicklung von Plagwitz hat, ist dabei schwer zu beantworten. Aus rein persönlicher Beobachtung ist Plagwitz der Tourismus aber nicht fremd. So waren viele Befragte während unser Stadtteilsumfrage Mitglieder von Chorgruppen, die im Rahmen eines Chorfestivals einen Veranstaltungsort in der Karl-Heine-Straße besuchten. Auch die befragten Bewohner von Plagwitz gaben an, dass der Tourismus in den letzten 5 Jahren eher zugenommen hat, wobei sie diese Veränderung weder positiv noch negativ bewerteten.

Andere Indikatoren für Gentrifizierung, wie ein hoher Bildungsstandard lässt sich in Plagwitz auffinden. So besitzt Plagwitz einen Vergleichsweise hohe Anzahl an Abiturienten, gehört aber nicht zu einem Kreis aus Stadtteilen im Stadtinneren mit der höchsten Abiturrate. Etwas anders verhält es sich mit der Hochschulabschlussrate, bei der Plagwitz zu den stärksten Stadtteilen liegt, was mit der zuvor besprochenen Überrepresentierung von 25- bis 40-Jährigen zusammenhängen könnte.

Unter den befragten Bewohnern zeigte sich generell eine Zufriedenheit in Hinblick auf die meisten Daseinsgrundfunktionen, außerhalb von Indikatoren wie Mietpreisen und Wohnungsangebot, wobei sich auch Mängel in der Verfügbarkeit von Grünflächen und möglicherweise dem Gemeinschaftsgefühl zeigen. Dies könnte möglicherweise mit den zuvor beschriebenen Spannungen, die Gentrifizierung auslöst, zusammenhängen. Ebenso zeigt sich ein Mangel an Zufriedenheit über die Entwicklung der Grünflächen in den letzten 5 Jahren, was auf den Mangel an Grünflächen generell hindeutet.

Insgesamt scheinen die Bewohner*innen von Plagwitz mit der Entwicklung von Plagwitz zufrieden zu sein, trotz der beschriebenen Mängel. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass es sich um eine bereits fortschreitende Gentrifizierung handelt, frühere Bewohner Plagwitz’, die Unmut über diese Veränderung ausdrücken könnten, könnten bereits aus Plagwitz verdrängt worden sein. Die Rolle der Befragten ist also der in der Bewertung der Veränderung relevant, obwohl Probleme wie Wohnungsmangel von allen wahrgenommen werden. Aber während dieser für manche nur eine Hürde ist, ist es für andere ein Ausschlusskriterium.

Verwendete Literatur und Quellen

  • Alisch, M. (2018): Sozialräumliche Segregation: Ursachen und Folgen. S. 503-522. In: Huster, E., Boeckh, J., Mogge-Grotjahn, H. (2018): Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. Springer VS, Wiesbaden.
  • Billy, R. (2016): Stadtentwicklung Verstetigen: eine Quartiersuntersuchung im Leipziger Westen. Diplomica Verlag.
  • Burmester, A. (2015): Essen, Trinken, Feiern. Gentrification in der Gastronomie?
  • Drilling, M., Schnur, O. (2012): Nachhaltige Quartiersentwicklung: Positionen, Praxisbeispiele und Perspektiven.
  • Friedrichs, J., Blasius, J. (2016): Gentrifizierung in Köln: Soziale, ökonomische, funktionale und symbolische Aufwertungen. Verlag Barbara Budrich.
  •  Glatter, J., Sturm, C. (2020): Lokale Ökonomie der Gentrifizierung – der Wandel des lokalen Gewerbes als Baustein, Effekt und Symbol der Aufwertung von Quartieren. In: Henn, S., Behling, M., Schäfer, S. (2020): Lokale Ökonomie – Konzepte, Quartierskontexte und Interventionen. Springer Spektrum.
  • Henckel, D., von Kuczkowski, K., Lau, P., Pahl-Weber, E., Stellmacher, F. (2010):  Planen – Bauen – Umwelt. Ein Handbuch. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Riedel, H. (2005): Stadtlexikon Leipzig von A bis Z. Eintrag Plagwitz. S. 466–469.
  • Rink, D. (2020): Leipzig: Wohnungspolitik in einem Wohnungsmarkt mit Extremen. S. 177-196. In: Rink, D., Egner, B. (2020): Lokale Wohnungspolitik. 4, 1.
  • Von Lojewski, H. (2013): Zum Verhältnis von sozialer Durchmischung, Segregation und Gentrifizierung. S. 175-179. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung. (2013). 4.

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