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GLOBUS #03 | Wie verändern neue Investitionsformen den Gesundheitssektor?


In der dritten und abschließenden Folge der SpacEconomics-Reihe zum Projekt GLOBUS „Globale Reorganisation von Forschung und Entwicklung – das Beispiel der Pharmaindustrie und Medizintechnikbranche am Standort Deutschland“ gibt Björn Braunschweig mit Richard Bůžek von der Universität Münster und Dr. Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik (IAT) einen Ausblick auf weitere Forschungsfelder über das Projekt hinaus. Es geht unter anderem darum,…

  • was unter dem Begriff der Private Equity Investment zu verstehen ist,
  • wie solche Investments den Gesundheitssektor in Deutschlands verändern,
  • welche Rolle dabei sogenannten medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zukommt,
  • welche Auswirkungen das für PatientInnen, Beschäftigte sowie angrenzende Branchen hat und
  • wie zukünftige Entwicklungen und Alternativen aussehen könnten.

Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und wurde vom 01.01.2020 bis zum 30.04.2023 unter der Leitung der VDI Technologiezentrum GmbH und dem Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Zusammenarbeit mit Dr. Pauline Mattsson von der Lund University und Prof. Dr. David A. Wolfe von der University of Toronto durchgeführt. 

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Christoph Scheuplein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung. Am IAT beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Raumkapital, Private Equity und Venture Capital, sowie wirtschaftlichen Clustern. Richard Bůžek wiederum ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Kritische Stadtgeographie am Institut für Geographie der Uni Münster. Neben Forschung und Lehre beschäftigt er sich zur Zeit in seinem  kumulativen Dissertationsprojekt mit den aktuellen gegensätzlichen Entwicklungen im Gesundheitswesen. Gemeinsam haben die beiden ihre Forschungsergebnisse zu sogenannten Private-Equity-Investitionen in bayrischen medizinischen Versorgungszentren veröffentlicht. Björn Braunschweig diskutiert mit ihnen über die Auswirkungen dieser Investitionen auf die Versorgung von PatientInnen und die Interessen von ArbeitnehmerInnen.

The Longer Read

Private-Equity-Gesellschaften können als Investmentgesellschaften verstanden werden, die das Ziel verfolgen, Unternehmen aufzukaufen. Dieser Vorgang findet allerdings nicht an einer Börse statt, sondern die Unternehmen werden den den EigentümerInnen direkt abgekauft. Diese Übernahmen werden in der Regel mithilfe von Investmentfonds ermöglicht, deren Laufzeit meist auf maximal zehn Jahre begrenzt ist. Das Kapital in diesen Fonds wird von Privatpersonen aber auch institutionellen Investoren bereitgestellt. Das Businessmodell folgt dem sogenannten buy-and-sell-Prinzip. Das heißt, nach Ende der Laufzeit des Fonds werden die Unternehmen wieder verkauft. Genau das ist auch der Zeitpunkt, an dem die meiste Rendite generiert wird.

Der Gesundheitssektor weist für Private Equity und das buy-and-sell-Modell zwei erhebliche Vorteile auf: ein geringes Risiko trotz hoher Wachstumserwartungen. Das geringe Risiko ergibt sich dadurch, dass die Nachfrage fast vollkommen unelastisch und krisensicher ist. Immerhin werden Gesundheitsleistungen unabhängig von der wirtschaftlichen Lage eines Landes oder einzelner Personen in Anspruch genommen. Das gilt im Besonderen für Länder wie Deutschland, in denen die Gesundheitsversorgung über gesetzlich und auf dem Solidarprinzip baiserende Krankenversicherung organisiert wird. Die hohen Wachstumserwartungen lassen sich an dem zunehmenden demographischen Wandel in vielen Ländern des globalen Nordens festmachen. Es ist kein Geheimnis, dass alte Menschen häufiger auf ÄrztInnen angewiesen sind. In alternden Gesellschaften ist demnach davon auszugehen, dass die krisensichere Nachfrage weiter ansteigt.

„Insgesamt können wir global eine Finanzialisierung von Gesundheitsversorgung feststellen. Warum?  Weil Investitionen in Bereiche, die in Zukunft auch noch sichere Erträge versprechen, wichtig geworden sind – z.B. auch für Private Equity.“

Richard Bůžek

Doch einfach ist der Einstieg in den Gesundheitssektor für InvestorInnen aufgrund starker Reglementierungen meist nicht. In Deutschland ist der Zugang für Private-Equity in das Gesundheitswesen seit 2004 möglich. Damals entstanden sogennante Medizinische Versorgungszentren – oder kurz auch MVZ. Kennzeichnend für MVZ ist, dass sie mehrere FachärztInnen unter einem Dach vereinen und die in ihnen tätigen MedizinerInnen nicht selbstständig, sondern in einem Angestelltenverhältnis arbeiten. Im Optimalfall wird dadurch eine umfassende Versorgung von PatientInnen an einem Standort ermöglicht und so die Versorgung verbessert. Im Zuge verbesserter Technologien und gut ausgestatteter medizinischer Versorgungszentren kam es zudem vermehrt zu einer Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung. Außerdem kam es in den letzten Jahren zu einer Ambulantisierung in der Medizin. Das bedeutet, dass zunehmend Aufgabenfelder aus dem stationären Bereich (also Krankenhäusern oder Kliniken) vom ambulanten Bereich (z.B. Augen- oder ZahnärztInnen etc.) übernommen werden. Zugleich werden durch die Betreiberstrukturen jedoch auch die Türen für Private-Equity geöffnet.

So richtig ins Rollen kamen die Übernahmen durch PE und die Gründung von MVZs zwar erst ab 2016/17, aber schon 2020 lagen dann in Bayern 10 % der MVZs und damit immerhin 1 % der gesamten ambulanten Gesundheitsversorgung in den Händen von privaten InvestorInnen. Begründet liegt dieser jüngste Zuwachs auch im Finanzmarkt und der Entwicklung von Private Equity selbst.

„Private Equity hat sich in den letzten Jahren wirklich zur erfolgreichsten Investmentform entwickelt. Das heißt sie hatten die höchsten Renditen und daraus folgend auch die höchsten Kapitalzuflüsse. Sie waren erstaunlicherweise auch im Vergleich zu Immobilien und Hedgefonds die Lieblingskinder der Anleger.“

Christoph Scheuplein

Im Endeffekt kann so auch erklärt werden, warum PE erst gute 10 Jahre nach der prinzipiellen Öffnung des Gesundheitssektors die Landschaft in dem Bereich signifikant mitgestaltet. Einerseits musste das Kapital nach der Finanzkrise ab 2007 erst wieder anwachsen. Das dauerte allerdings nicht allzu lang und bald stand für PE aufgrund seiner Beliebtheit fast schon zu viel Geld bei zu wenigen Anlagemöglichkeiten zur Verfügung. Daher wurde diversifiziert und somit neue Felder, wie eben das Gesundheitswesen erschlossen. Aufgrund der starken Regulierungen, die hier vorgefunden wurden, gestaltete sich die Umstrukturierung von Unternehmen zunächst schwierig. Allerdings überwogen die angesprochenen Vorteile und PE konnte in den kleinteiligen, fragmentierten Strukturen im ambulanten Gesundheitswesen bestens sein buy-and-build-Modell anwenden. Viele Arztpraxen wurden daher erst in MVZs umgewandelt und im Anschluss zu einer Arztkette zusammengelegt, was natürlich deutliche Kostenvorteile mit sich brachte. Interessanterweise gab es einen gewissen Vorlauf dieser Entwicklung u.a. in den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und den USA. Dort wurde dieses Modell mit den Ketten schon vorher von Private-Equity-Gesellschaften erprobt, weswegen genau jene Player dann auch in Deutschland immer aktiver wurden. Begünstigt wurde deren Engagement zusätzlich durch weitere Veränderungen der gesetzlichen Strukturen nach 2015, denn es kam im Vergleich zu den Beschlüssen von 2004 zu einer weiteren Öffnung des Gesundheitsmarktes. Nun mussten die Medizinischen Versorgungszentren nicht mehr fachübergreifend aufgestellt sein, sondern es reichte eine Fachausrichtung, was besonders in der Zahnmedizin zu zahlreichen Übernahmen durch PE führte. Hier lohnt sich die Kettenbildung nämlich aus vielerlei Hinsicht besonders. Zum einen gibt es eh schon viele Praxen, da sie von den meisten Menschen recht regelmäßig aufgesucht werden. Zum anderen kann hier die Grundversorgung um kostspielige Privatleistungen ergänzt werden, was natürlich aus InvestorInnensicht gut für die Rendite ist. Das solch ein gewinnorientiertes Handeln nicht auch mit ungewollten Nebeneffekten einhergehen soll, ist da nur schwer denkbar. Wie überschaubar sind diese Systeme denn überhaupt? Wie verändern sich die Marktstrukturen? Und wie sehen die Auswirkungen für die Beschäftigten aus? Wie für PatientInnen?

„Wir konnten feststellen, dass 75 % der Private-Equity-geführten MVZ-Ketten in Bayern von einem Fond in einer Steueroase aus gesteuert wurden. Das heißt, dass Wertextraktion aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung stattfindet.“

Richard Bůžek

Dieses Vorgehen unter Beteiligung von Offshore-Finanzzentren bedeutet eben, dass Beiträge aus dem Solidarfond der SteuerzahlerInnen zugunsten von Private Equity und seinen AnlegerInnen abgehen. Neben diesem können jedoch noch weitere kritisch zu betrachtende Aspekte identifiziert werden. Da das Gesundheitswesen nicht für sich allein, sondern im engen Austausch mit einer Vielzahl anderer Branchen, wie der Medizintechnik steht, färben auch die Auswirkungen von Privatisierung und Kettenbildung ab. Durch das starke Wachstum im Gesundheitssektor zentralisiert sich der Einkauf, wodurch aus Zulieferersicht zu erwarten ist, dass Produkte vereinfacht und regionale Nischen verschwinden werden. Speziell auf kleinere Unternehmen wird sich der Druck deutlich erhöhen, da ein immer breiteres Anforderungsprofil an sie entsteht. Auch sie müssen sich dementsprechend anpassen und quasi Dienstleister aus einer Hand werden. Und so wandelt sich die Landschaft gleich in mehreren Feldern von einer atomistischen zu einer oligopolistischen, d.h. von einer Marktstruktur mit vielen kleinen zu einer mit wenigen großen AkteurInnen. Außerdem verändert Private Equity diese Strukturen dauerhaft und nicht nur für den Zeitraum seiner Aktivität. Diese ist wie bereits erwähnt auf wenige Jahre begrenzt, was nicht nur für die Belegschaft durchaus einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Die Einstiege in den Gesundheitssektor durch PE sind zwar noch zu jung für die Untersuchung genauerer Auswirkungen, aber in anderen Branchen zeigte sich bereits, dass in den ersten vier Jahren nach einer Übernahme sowohl die Zahl der Beschäftigten, als auch das Eigenkapital sanken und das Insolvenzrisiko stieg. Auch wenn sich das im Laufe der Zeit erholte, lagen die Werte im Schnitt unter jenen vor der Übernahme. In den meisten Fällen werden die Unternehmen erneut verkauft, häufig auch an neue FinanzinvestorInnen (ein sogenanntes second buy-out), was Unternehmen und Belegschaft zusätzlich belasten kann.

„Zurzeit haben wir eine sehr belebte gesundheitspolitische Debatte um Private-Equity-geführte MVZs. Karl Lauterbach hat angekündigt, dass er den Investoren in der ambulanten Versorgung einen Riegel vorschieben will. Das heißt, es steht tatsächlich zur Debatte, ob es vielleicht zu einer Definanzialisierung durch ein gesetzliches Verbot kommt. “

Richard Bůžek

Neben all diesen negativen Aspekten muss allerdings ebenso angemerkt werden, dass Private-Equity-Investitionen und nicht zuletzt auch die Medizinischen Versorgungszentren (bzw. MVZ-Ketten) durchaus positive Effekte haben. Durch letztere werden nicht nur eine fachübergreifende Versorgung, effiziente Strukturen durch Arbeitsteilung und Anstellungsmöglichkeiten für ÄrztInnen ermöglicht. Gerade aus der Sicht von PatientInnen können sich Öffnungszeiten verlängern, oder technische Versorgung, Terminmanagement etc. verbessern. Das MVZ an sich ist sicherlich ein gutes Konzept, zur Wahrheit gehört aber auch, dass es dazu nicht unbedingt private InvestorInnen braucht. Was es allerdings dringend braucht, ist Geld. Das ist unter anderem einer der Gründe, warum MVZs nicht auch häufiger in kommunaler Trägerinnenschaft liegen. Denn hier sind die finanziellen Spielräume vor dem Hintergrund von knappen Haushalten und Sparmaßnahmen oft begrenzt. Es gibt zwar mittlerweile Einzelfälle, in denen dies trotzdem umgesetzt werden kann, einen nennenswerten Versorgungsanteil haben sie allerdings noch nicht. Weitere Lösungsansätze werden zurzeit auch auf Bundesebene diskutiert, da sich die Regierung vorgenommen hat, das Spannungsverhältnis zwischen Renditenorientierung auf der einen, und bestmöglicher PatientInnenversorgung auf der anderen Seite zu verbessern. Da die Ökonomisierung im Gesundheitswesen allerdings ein strukturelles Problem (und nicht die Schuld einzelner privater InvestorInnen) ist, wird es dahingehend wohl keine einfache und schnelle Antwort geben.

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