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Kann „die“ Finanzindustrie nachhaltig wirtschaften?

In dieser Audioversion der Jena Talks in Economic Geography (JTalks) ist Dr. Sabine Dörry vom Luxembourg Institute of Socio-Economic Research zu Gast und führt uns in der Diskussion mit Björn Braunschweig in einen wichtigen Teil der Finanzgeographie ein. Auch wenn die beiden in Kürze der Zeit vieles nur anreißen können, geht es unter anderem darum,

  • wieso es d i e Finanzindustrie gar nicht gibt,
  • warum Unterschiede in der Gesetzgebung von Staaten für den Finanzsektor so wichtig sind,
  • inwiefern das globale Finanzsystem vielleicht doch nachhaltig gestaltet werden kann,
  • was es mit den Begriffen „Fonds“ und „Arbitrage“ auf sich hat und
  • was wiederum „echte“ Finanzinnovationen sind.

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„Die“ Finanzindustrie ist in den vergangenen Jahren wiederkehrend Teil der öffentlichen Debatte gewesen und in weiten Teilen der Bevölkerung in Verruf geraten. Und das, obowhl wir eigentlich gar nicht von der Finanzindustrie sprechen können und viele diesen Sektor in seinen Vernetzungen, Verzweigungen und Funktionen nicht beschreiben können. Letzteres liegt nicht zuletzt daran, dass nur rund 20 % des Umsatzes der Finanzindustrie im „normalen“ Bankengeschäft generiert wird – also in dem Teil der Finanzindustrie, mit dem Menschen und Unternehmen in Berührung kommen, wenn sie Geld einzahlen oder abheben, Güter kaufen oder Kredite beantragen. 80 % des Umsatzes werden jedoch innerhalb des Finanzsektors umgesetzt. Der Großteil des Umsatzes kommt somit durch Dienstleistungen von einem Finanzdienstleister für einen anderen zustande – seien es eine Bank, der/die ManagerIn eines Fonds oder ein/e Rechtsanwältin, die die Leistungen anbieten. Somit liegt auch der Großteil der Finanzindustrie für viele Personen hinter der sogenannten „Line of Visibility“ (deu.: „Grenze der Sichtbarkeit“) und bleibt damit gezwungenermaßen auch unverstanden.

„Wie bereits in meiner Dissertation zur Tourismusindustrie, interessiert mich an der Finanzindustrie der Teil, der hinter der Line of Visibility liegt: all das, was uns als normalen Kunden verborgen bleibt, aber notwendig ist, damit diese Industrien funktionieren. Also weg von der Beschreibung der Phänomene und hin zur Beschreibung der Gründe für diese Phänomene.“ | Sabine Dörry

Dr. Sabine Dörry widmet sich seit Jahren dem, was hinter dieser Line of Visibility liegt und versucht mit ihrer Forschung, Finanzprodukte und die Vernetzungen der Finanzindustrie zu dekonstruieren. Hierbei ist sie bereits auf eine Reihe von interessanten Ergebnissen gestoßen. Eine davon wird als „Arbitrage“ beschrieben. Arbitrage bezeichnet in der Finanzwelt das Ausnutzen von Unterschieden (Preise, Zinsen, Kurse) an verschiedenen Standorten, um Gewinn zu erwirtschaften: Wenn ein Produkt in einem Teil der Welt 1€ kostet, in einem anderen aber 5€ lässt sich das Produkt somit an einem Ort günstig kaufen, um es an dem anderen mit einer großen Marge wieder zu verkaufen. Doch in der Finanzindustrie findet sich Arbitrage vor allem in Bezug auf Gesetze. Unterschiede in der Gesetzgebung einzelner Staaten erlauben es, rechtliche Vehikel zu konstruieren, die z.B. Geld zu besonders günstigen Konditionen zu investieren – sprich mit wenig Steuerausgaben seitens der Unternehmen oder Privatpersonen. Um diese Arbitrage möglich zu machen, braucht es jedoch Dienstleister, die Gesetze auslegen und für ihre KundInnen nutzbar machen können. So führt diese Form der Arbitrage dazu, dass darum herum ein ganzer Sektor von Anwaltskanzleien und anderen Unternehmensdienstleistern entstanden ist. Arbitrage ist in der Finanzindustrie somit nicht nur eine Folge von Unterschieden, sondern vielmehr eine Basis für die Entstehung von Teilen von ihr.

„Multinationale Unternehmen – also Unternehmen, die in mehreren Ländern Standorte haben – werden in unterschiedliche Steuersubjekte – je nach Land – eingeteilt, bilden ja aber weiterhin eine Wirtschaftseinheit. Diese Trennung in Steuer- und Wirtschaftssubjekt macht ist das Grundprinzip, auf dem das Ausnutzen der Unterschiede, die Arbitrage, aufbaut.“ | Sabine Dörry

Doch möglich wird das Nutzen dieser Unterschiede erst dadurch, dass multinationale Unternehmen als eine Gruppe von juristischen Personen behandelt werden bzw. rechtlich auch behandelt werden müssen, aber eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Denn erst so ist es den Unternehmen möglich, entsprechende rechtliche Vehikel zu nutzen, um die eigenen Kapitalströme in entsprechende Offshore-Zentren zu verlagern. Diese sogenannten Offshore-Investments bezeichnen hierbei nichts anderes, als die Verlagerung von Kapital aus dem Sitz des Unternehmens in einem Land in ein anderes Land, welches die angesprochenen günstigeren Konditionen bereitstellt. Doch wenngleich Wörter wie „Offshore-Konten“, „Offshore-Firmen“ und ähnliche Bindestrichkonstruktionen gemeinhin mit Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Verbindung gebracht werden, handelt es sich bei der betrachteten Arbitrage schlicht um die legale Nutzung besagter Unterschiede zwischen den Gesetzen eines Landes und denen eines anderen.

„Aber auch das muss klar gesagt werden: Wir brauchen einen starken Finanzsektor, der Kredite für
produktive Unternehmungen vergibt. So brauchen wir zum Beispiel Investitionen, um Innovationen voranzubringen. Die Frage ist also nicht, ob investiert und finanziert werden sollte, sondern wie.“ | Sabine Dörry

Doch auch vor dem Hintergrund der Arbitrage, den verschiedenen Finanzinstrumenten und den rechtlichen Unterschieden stellt sich auch für die Finanzindustrie die Frage, wie zukünftige Investitionen und Finanzprodukte nachhaltig gestaltet werden können. Entsprechend widmet sich auch Sabine Dörry diesem Thema. So untersucht sie auf der einen Seite im AltFin-Projekt zusammen mit Dr. Christian Schulz von der Universität Luxemburg, wie regionale alternative Finanzsysteme die nachhaltige Transformation unterstützen können, verfolgt aber auch das Thema nachhaltiger Finanzierung für produktive Unternehmungen. Denn schlussendlich kommen wir um die Finanzierung von Unternehmungen nicht herum, sondern müssen uns vielmehr Gedanken machen, wie wir diese so finanziert bekommen, sodass die dann bestehende Finanzindustrie Teil der nachhaltigen Transformation wird. Es wird also weiterhin spannend bleiben, wenn sich Sabine Dörry in ihrer Forschung der Finanzindustrie widmet.

Da uns und Sabine Dörry bewusst ist, dass wir mit der Folge für SpacEconomics nur einen Überblick über viele Themen geben konnten, und an vielen Stellen in den Erklärungen oberflächlich verbleiben mussten, empfehlen wir drei Publikationen für den genaueren Einstieg in die besprochenen Teilbereiche der Finanzgeographie:

  • Dörry, Sabine (2015): Strategic nodes in investment fund global production networks: The example of the financial centre Luxembourg. Journal of Economic Geography 15(4): 797-814.
  • Wójcik, Dariuzs; Urban, Michael; Dörry, Sabine (2021): Luxembourg and Ireland in Global Financial Networks: Analysing the structure of European Investment Funds. Transactions of the Institute of British Geographers. https://doi.org/10.1111/tran.12517.
  • Dörry, Sabine (coming soon): „Future Finance“ in Jones, Jennifer; Hall, Sarah Marie [Edts] „Contemporary Economic Geographies“

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Ein Gedanke zu „Kann „die“ Finanzindustrie nachhaltig wirtschaften?“

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