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Was verbirgt sich hinter nachhaltiger und fairer Schokolade?

In dieser Folge von SpacEconomics diskutiert Björn Braunschweig mit Jana Rülke von der Universität Osnabrück über ein Forschungsprojekt und die Zusammenhänge in den globale Wertschöpfungsketten der Kakaoindustrie. Dabei geht es unter anderem darum…

  • wie solche Wertkettenarchitekturen in Ungleichgewicht geraten können,
  • weshalb teils gravierende nationale Unterschiede vorzufinden sind,
  • welche Auswirkungen Zertifikate auf Produzierende und Konsumierende haben,
  • wieso ein Absolutheitsanspruch in der Nachhaltigkeitsdebatte zu Problemen führt,
  • welche Rolle Schokoladenverpackungen bei einer transparenten Kommunikation spielen und
  • wie bedeutsam die Integration von Studierenden in größere Forschungsprojekte sein kann.

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Jana Rülke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück, genauer in der AG Humangeographie mit wirtschaftsgeographischem Schwerpunkt. Sie beschäftigt sich dort intensiv mit globalen Produktionsnetzwerken, Agri-Food-Netzwerken und Mensch-Umwelt-Beziehungen. Passend dazu und parallel zu ihrer Dissertation forscht sie aktuell im interdisziplinären CoVaCoa-Projekt (Consumer decisions, Value chains und Cocoa) zu Wertketten und den Auswirkungen von Konsumentscheidungen am Beispiel des ghanaischen Kakaosektors.

„Das Projekt problematisiert die kausalen Zusammenhänge, die in den globalen Wertketten bestehen. Und zwar auf der einen Seite von der Steuerung nachhaltiger Produktion und auf der anderen Seite eben dem nachhaltigen Konsum.“

Jana Rülke

Viele Rohstoffe legen auf ihrem Weg von den ProduzentInnen hin zu den KonsumentInnen große Distanzen zurück. Die Vielzahl an Akteuren und Verflechtungen auf diesem Weg bilden dabei die sogenannte Architektur einer Wertschöpfungskette. Aufgrund von vermeintlichen ökonomischen Zwängen, aber auch postkolonialen Strukturen sind diese häufig sowohl in sozialen, als auch ökologischen Aspekten nur wenig nachhaltig. Da solche Produktionsnetzwerke durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet sind, widmen sich im CoVaCoa-Projekt WissenschaftlerInnen vieler verschiedener Fachrichtungen diesen Thematiken aus unterschiedlichen Blickwinkeln, um Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Transformation entwickeln zu könne. Im Optimalfall könnten Wertketten somit für alle Beteiligten gewinnbringender gestaltet werden – ohne eben soziale und ökologische Gesichtspunkte aus den Augen zu verlieren.

Die geographischen Perspektiven innerhalb der holistischen Betrachtungsweise im Projekt fokussieren auf die Produktionsbedingungen, sowie die Auswirkungen verschiedener Governancestrukturen. Damit sind Steuerungs- und Ordnungssysteme gemeint, die den globalen Warenhandel mitgestalten. Einen Teil davon stellen verschiedene Zertifikate und Nachhaltigkeitslabel dar, deren Effekte auf die Produktionsbedingungen einerseits sehr unterschiedlich ausfallen. Ihren Einfluss üben sie andererseits aber auch auf die KonsumentInnen aus. Diese werden beispielsweise auf Schokoladenverpackungen über Initiativen informiert und so in ihren Kaufentscheidungen beeinflusst. Im Idealfall können die Produktionsbedingungen somit auch von den Konsumierenden mitbeeinflusst werden. Abhängig ist das jedoch von den jeweiligen Wertschöpfungsketten und Verflechtungen, die hinter einem Produkt liegen.

„Dieses System ist eine postkoloniale Struktur, die immer noch sehr ähnliche Ungleichgewichte mit sich bringt. Das kann man jetzt aber nicht für alle Kakaonetzwerke so stehen lassen. Man muss ganz genau schauen, über welche Länder gesprochen wird und wie die jeweiligen staatlichen Regulierungen aussehen.“

Jana Rülke

In Ghana fallen diese Regulierungen tatsächlich recht tiefgreifend aus. Die verantwortliche Regierungseinheit (Cocoa Marketing Board) schützt die KleinbäuerInnen unter anderem vor Preisschwankungen, indem sie den sogenannten Farmgate-Price festlegt, unter dem der Kakao nicht verkauft werden darf. Andererseits beschneidet dieser Intermediär auch das selbstbestimmte Handeln der BäuerInnen. So ist es den kakaoanbauenden KleinbäuerInnen nur erlaubt, an den Staat selbst bzw. an eine kleine Zahl staatlich lizenzierter EinkäuferInnen zu verkaufen. Letztere sind zumeist transnational agierende Großunternehmen.

Dass das auch anders funktionieren kann, zeigt das Beispiel Costa Ricas. Hier verfügen die Anbauenden über größere Handlungsspielräume, können frei entscheiden, an wen, zu welchem Preis, oder ob ihre Ware überhaupt verkauft werden soll. Denn auch die selbstständige Weiterverarbeitung und somit die gewinnbringenden Veredelungsprozesse sind möglich. Das führt nicht nur zu besseren Verdienstmöglichkeiten, sondern auch zu kürzeren Warenketten. Nicht zuletzt können KonsumentInnen hier deutlich leichter über ihre Kaufentscheidung Einfluss nehmen. Kann aber auch im Fall Ghanaischer Schokolade, z. B. durch bestimmte Siegel, eine Brücke zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen geschlagen werden, obwohl die Wertkettenarchitektur solch ein Ungleichgewicht mit sich bringt?  

„Ich glaube, wir muss uns eingestehen, dass der Kauf einer bestimmten Schokolade eben nicht mit einem Konzept die ganze Welt und alle Probleme darauf verbessern wird. Und wir müssen somit aufhören, das zu erwarten und zu versprechen.“

Jana Rülke

Einen Absolutheitsanspruch gibt es bei Siegeln und Konzepten nicht. Dennoch finden sich entsprechende absolute Aussagen nicht selten im Marketing von Unternehmen wieder. Dabei kann es um unternehmenseigene Initiativen oder auch externe Zertifikate und Nachhaltigkeitssiegel gehen. Werden diese Siegel für Greenwashing eingesetzt, führt das zum Vertrauensverlust der KonsumentInnen und schadet der gesamten Zertifizierungslandschaft. Daher ist eine deutliche Differenzierung und transparente Kommunikation von den Nachhaltigkeitszielen, aber auch damit einhergehenden Herausforderungen und Einschränkungen wichtig.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich betreffende Unternehmen diesbezüglich in einem großen Spannungsfeld unterschiedlicher Systemlogiken befinden. Zum einen wird der Kakao oft aus verschiedenen Ländern bezogen, zu denen dann verschiedene Wertkettenarchitekturen gehören. Das bedeutet folglich, dass ihre Zertifikate nicht gleichermaßen für die verschiedenen Märkte funktionieren, weil ihre intendierten Effekte auf völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen vor Ort treffen. Und zum anderen bedienen die Unternehmen vom konservativen Einzelhandel über Reformhäuser und Weltläden ein sehr breites Spektrum an Absatzmärkten und damit auch Klientel. All das zusammen führt häufig dazu, dass die herrschenden Umstände auf den Verpackungen (aber auch auf den dazugehörigen Websites) entweder stark vereinfacht oder beschönigt werden – aus Sorge um Wettbewerbsnachteile.

„Dennoch gibt es Unternehmen, sehr wenige an der Zahl, die sagen, wir beschäftigen uns aktiv mit der Wertkette, die schwierig ist, die wir in Gänze vielleicht so auch gar nicht verändern können. Denn wir sind ja kein Staat, wir sind ein kleines Unternehmen. Und das finde ich mutig, damit begeben sie sich auf dünnes Eis, weil sie Konsumierende verlieren könnten.“

Jana Rülke

Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer. Denn je mehr Wissen wir durch Projekte wie CoVaCoa erhalten, desto besser können wir einschätzen, wo unser Handeln etwas bringt und wo vielleicht auch nicht. Neben einem wissenschaftlichen Anspruch wird das Projekt somit auch seinem selbstgesetzten gesellschaftlichen Anspruch gerecht.


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