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Wird Produktion wieder regionaler? – Risiken in globalen Produktionsnetzwerken

In dieser Project-Insights-Folge von SpacEconomics sprechen Dr. Thomas Neise und Philip Völlers mit Björn Braunschweig darüber, inwiefern die Globalisierung und die Vernetzung von Unternehmen, Branchen und Lieferketten ein Risiko für KonsumentInnen, ProduzentInnen und InvestorInnen darstellen und ob die Ereignisse der vergangenen Monate eine Veränderung der Globalen Produktionsnetzwerke (GPN) anstoßen. Dabei geht es unter anderem darum…

  • wie der GPN-Ansatz die räumliche Verteilung von Produktion und Konsum zu erklären vermag,
  • welche Rolle Risiken und Risikominderungsstrategien für GPNs spielen,
  • wie sich die Definition von Normalität der Weltwirtschaft auch durch den Klimawandel verändert,
  • was Schumpeters schöpferische Zerstörung mit all dem zu tun hat und
  • wo genau eigentlich der Unterschied zwischen Risiko und Chance liegt.

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The Longer Read

Dr. Thomas Neise und Philip Völlers sind Mitglieder der Arbeitsgruppe für Humangeographie mit wirtschaftsgeographischem Schwerpunk der Universität Osnabrück und forschen beide zu Risiko im Kontext von Global Production Networks (GPN). Dr. Thomas Neise legt in seiner Forschung Schwerpunkte Risiken in Wertschöpfungsketten, u.a. in der Medizintechnikbranche, aber auch auf Naturrisikoforschung und Klimafolgenanpassung sowie urbane Risikogouvernance. Philip Völlers konzentriert sich auf die Entwicklung von Direktinvestitionen zwischen Deutschland und der Türkei. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Aspekt der Risiken und deren Auswirkungen auf unternehmerische Entscheidungen.

GPN-Forschung ist derzeit in der Wirtschaftsgeographie sehr präsent. Der GPN-Ansatz ist dabei ein heuristischer Versuch, die Entstehung der räumlichen Verteilung von Produktion und Konsum in der globalen Wirtschaft zu verstehen und zu erklären. GPNs werden dabei als global organisierter Zusammenschluss von verbundenen Funktionen und Tätigkeiten von Unternehmen und deren Anspruchsgruppen, also KundInnnen, InvestorInnen usw., angesehen. Produktionssysteme werden hier nicht allein als ökonomische Systeme verstanden, sondern es wird davon ausgegangen, dass GPNs in kulturelle, soziale und politische Gegebenheiten eingebettet sind.

„Produktionsnetzwerke existieren nicht im luftleeren Raum.
Sie haben immer einen sozialen und kulturellen Kontext.
Das macht den GPN-Ansatz für die Geographie besonders interessant.“
Philip Völlers

Innerhalb dieses multidimensionalen Beziehungsgeflechts entstehen gewisse Abhängigkeiten der einzelnen AkteurInnen untereinander, aber auch das Netzwerk als Ganzes ist mit äußeren Einflüssen konfrontiert. Naturkatastrophen, politische Entwicklungen oder auch beispielsweise die COVID-19 Pandemie bergen Risiken für Unternehmen und InvestorInnen. Um zu verstehen, wie Risiken innerhalb von GPNs entstehen, ist es wichtig den Aufbau des Netzwerkes zu verstehen und Zusammenhänge zu überblicken. Auf diese Weise kann ein Umgang mit bestimmten Risiken entwickelt werden. Diese sogenannten Risikominderungsstrategien können einen unternehmerischen Mehrwert darstellen – dennoch ist dieses Themenfeld bisher empirisch wenig untersucht. Welche Strategien möglicherweise standardisiert werden könnten, wer derartige Standards durchsetzen könnte und inwiefern dies Netzwerkstrukturen verändern würde, sind aktuelle Fragen innerhalb der Wirtschaftsgeographie, mit denen sich Dr. Thomas Neise und Philip Völlers beschäftigen.

„Gerade mit Blick auf den Klimawandel ist ein vorbereitendes,
antizipatives Denken in Produktionsnetzwerken wichtig.
Anpassung heißt, auf Risiken vorbereitet zu sein und das kann einen erheblichen Standortvorteil bedeuten“
Dr. Thomas Neise

Ein Risiko ist dabei erst einmal die anteilige oder auch vollständige Abwesenheit von Sicherheit bei einer Handlung. Auch das Nichthandeln kann unter Umständen ein Risiko bedeuten: Wird in einer Situation ausgeharrt und die Veränderungen der Unternehmensumwelt ignoriert, kann dies dem Unternehmen langfristig schaden. Risiken können im Allgemeinen schlecht objektiv gemessen werden. Was als Risiko angesehen wird und wie hoch ein Risiko eingeschätzt wird, ist unter anderem abhängig von gesellschaftlichen Dynamiken und der individuellen Wahrnehmung der EntscheidungsträgerInnen.

Philip Völlers arbeitete in einem kürzlich erschienen Artikel mit seinen KollegInnen heraus, dass die Wahrnehmung von Risiken sowie die daraus resultierenden Konsequenzen von der institutionellen Einbettung eines Unternehmens beeinflusst werden. Sowohl formelle als auch informelle Institutionen fungieren dabei quasi als Vehikel für Risikominderungsstrategien und helfen Unternehmen dabei, Risiken abzumildern und den Umgang mit Risiken zu erleichtern.

„Es gibt keine unternehmerischen Entscheidungen ohne Risiko.
Gerade in Bezug auf Innovationen können Risiken aber auch Chancen bedeuten.
Neue Wege zu gehen, bedeutet immer Unsicherheit, aber auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung“
Philip Völlers

Das von Björn Braunschweig angeführte aktuelle Beispiel der Chipproduktion verdeutlicht noch einmal die branchenübergreifenden Abhängigkeiten der AkteurInnen in GPNs. Die Risikobereitschaft einzelner AkteurInnen wirkt sich hier massiv auf andere aus: Durch Fehlkalkulationen in einer Branche entstehen Lieferengpässe und -ausfälle in anderen Branchen, die ebenfalls auf Chips angewiesen sind, die jedoch nur einen Bruchteil der Marktmacht besitzen. Anpassungen der Netzwerkstruktur sind aufgrund der hohen Spezialisierung der einzelnen Unternehmen zeitintensiv und die breitgestreuten Folgen der anfänglichen Fehlkalkulationen sind kaum aufzuhalten. Wenig robuste und resiliente Lieferketten bedeuten, wie in diesem Fall für KonsumentInnen und andere ProduzentInnen, Ausfälle in der Verfügbarkeit teils hoch sensibler Produkte wie etwa aus dem medizintechnischen Bereich.

Aktuell geht durch die Omnipräsenz der COVID-19-Pandemie oft unter, dass ein statischer Normalzustand der Weltwirtschaft im Prinzip nicht existieren kann. Faktoren wie der Klimawandel verändern auch die Wirtschaft. Philip Völlers und Dr. Thomas Neise kritisieren daher die vielversprochene Aussicht auf die Post-Covid-Normalität: Die moderne Wirtschaft und Gesellschaft sind auf eine Stabilität angewiesen. Dabei geht es nicht nur um politische Stabilität, sondern auch um eine Stabilität der natürlichen Umwelt. Durch den Klimawandel gerät diese Stabilität ins Wanken – eine Dynamik, auf die die Weltwirtschaft reagieren muss. Das Risiko des Nichtstuns birgt das Risiko, statt auf die erhoffte Stetigkeit auf unkontrolliertes Chaos zu treffen, das weit entfernt von unserer heutigen „Normalität“ wäre.

„Eine dynamische Welt verlangt ein dynamisches Anpassen der globalen Wirtschaft.
Dieses dynamische Anpassen, diese Agilität,
ist auch unter Berücksichtigung des Klimawandels das neue ‚Normal‘ .“
Dr. Thomas Neise

Zusammenfassung der Folge als Long Read von Clara Aevermann

Fragen, Kommentare, Anregungen und Themenwünsche gern unten in die Kommentarbox schreiben.

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