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Was ist bitte eine „nachhaltige“ Wirtschaftsgeographie?

In dieser Folge von SpacEconomics diskutiert Björn Braunschweig mit Dr. Sebastian Losacker von der Justus-Liebig Universität Gießen über Ausrichtung und Inhalte einer nachhaltigen Wirtschaftsgeographie. Dabei geht es unter anderem darum…

  • wie eine Wissenschaftsdisziplin nachhaltig sein kann,
  • was sich hinter dem Konzept der planetaren Grenzen verbirgt,
  • was man unter Umweltinnovationen versteht,
  • wie Umweltinnovationen von ihrem Entstehungsort aus zu anderen Orten gelangen und
  • welche Rolle die Politik bei der Umsetzung von Umweltinnovationen spielt.

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The Longer Read

Sebastian Losacker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leibniz-Universität Hannover und fokussiert seine Arbeit auf nachhaltige Themen innerhalb der Wirtschaftsgeographie. So forschte er im Rahmen seiner Promotion zur räumlichen Verbreitung von Umweltinnovationen in China und veröffentliche Anfang diesen Jahres in Zusammenarbeit mit Ingo Liefner ein Lehrbuch mit dem Titel „Nachhaltige Wirtschaftsgeographie“.

„Es ist globaler Konsens, dass wir als Menschheit die Sustainable Development Goals erreichen wollen.
Und wir haben uns gedacht,
da kann auch die Wirtschaftsgeographie einen wichtigen Beitrag leisten.“
– Sebastian Losacker –

Wenn in diesem Zusammenhang von einer nachhaltigen Wirtschaftsgeographie gesprochen wird, ist es wichtig, zwischen einer nachhaltigen Wissenschaftsdisziplin und einer Ausrichtung dieser Disziplin auf nachhaltige Themen zu unterscheiden. Denn Sebastian Losacker strebt eine Neuausrichtung des Faches und der wirtschaftsgeographischen Untersuchungsgegenstände an. Das heißt, dass die klassische Ausrichtung der Disziplin mit der Erforschung räumlicher Ordnung und Organisation von Wirtschaft, wie z. B. bei dem klassischen Lehrbuch von Liefner & Schätzl, aufgeweicht werden soll. Stattdessen sollen soziale und ökologische Nachhaltigkeitsthemen in den Vordergrund rücken können und unter raumwirtschaftlichen Aspekten untersucht werden. So wird beispielsweise den Fragen nachgegangen, warum soziale Ungleichheiten oder ökologische Zerstörung existieren und wie sich deren regional unterschiedliches Auftreten erklären lässt.

Genau das wird auch im thematisch passenden Lehrbuch verfolgt. Dort wird sich unter anderem mittels Empirie, Theorie und politischen Handlungsempfehlungen den sozialen und ökologischen Dimension von Nachhaltigkeit gewidmet. Aber auch die dazugehörige Rolle von Technologie und Innovation in Bezug auf räumliche Disparitäten wird ausgiebig beleuchtet. Diese spielen nicht nur bei regionaler Entwicklung eine wichtige Rolle, sondern sind auch für den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem mitentscheidend. An der Stelle setzen Umweltinnovationen an, die durch Marktneuheit einerseits und positive resultierende Umwelteffekte andererseits gekennzeichnet sind. Schwierigkeiten entstehen allerdings bei der Abgrenzung.

„Umweltinnovation sind doppelt normativ geprägt. Denn Begriffe wie Innovation, Umwelt und Nachhaltigkeit sind allesamt positiv konnotiert. Das eröffnet natürlich eine Riesengefahr für Greenwashing.“ − Sebastian Losacker

Während Einigkeit darüber besteht, dass Umweltinnovationen auch mit positiven Umweltwirkungen einhergehen sollten, bleiben andere Aspekte eine Frage der Definition. Müssen die Innovationen auf Technologien basieren oder können sie auch sozialer oder organisatorischer Art sein? Ist die Umweltwirkung explizit intendiert oder reicht es, wenn die positive Umweltwirkung ein Nebeneffekt ist? Da der Begriff unscharf abgegrenzt ist überaus positiv aufgeladen, kommt es immer wieder zu Fällen von sogenanntem Greenwashing. Ein Beispiel dafür sind effektivere Verbrennungsmotoren, die zwar zu einen geringeren CO2-Ausstoß haben, Emissionen aber nicht verhindern. Und zu allem Überfluss kommt es dann noch zu ungewollten Rebound-Effekten. Das heißt, weil beispielsweise Emissionen eingespart werden, fahren die BesitzerInnen mehr, weil es ja nicht so schädlich ist. Doch auch neue nachhaltige Technologien, wie z. B. im Bereich erneuerbarer Energien, können unter Umständen soziale Konflikte auslösen oder zu neuen Problemen wie im Recycling führen. Nichtsdestoweniger führen sie insgesamt zu einem positiven Umwelteffekt. Mit diesem positiven Gesamteffekt entsprechen sie dem Verständnis einer „echten“ Umweltinnovation weitaus eher. Damit diese neuen Technologien aber überhaupt eine positive Umweltwirkung entfalten können, müssen sie nach der Erfindung auch verbreitet werden. Diese Verbreitung – auch Diffusion genannt – ist somit von entscheidender Bedeutung.

„Die Ergebnisse zeigen sehr, sehr deutlich, dass die geographische Nähe zwischen dem Innovator und
dem Anwender für die Verbreitung von Innovationen enorm wichtig ist. Mindestens ebenso wichtig
sind aber auch Umweltregulierungen, also Maßnahmen der Umweltpolitik.“ – Sebastian Losacker

Um zu verstehen, warum Umweltinnovationen einerseits an einem bestimmten Ort entwickelt und andererseits an anderen Orten nachgeahmt werden, nutzte Sebastian Losacker das Konzept geographischer Leitmärkte. Im Zentrum stehen Pionierregionen, welche die Diffusionsprozesse maßgeblich vorantreiben. Des Weitern braucht es aber auch Nachfragevorteile, technologische Vorteile, sowie Regulierungsvorteile. Letztere sind von besonders großer Bedeutung. Immerhin werden durch politische Instrumente die Rahmenbedingungen beeinflusst, innerhalb derer Umweltinnovationen ihre Wirkung entfalten können. Der Wirkungsgrad neuer Technologien kann sich mit derartigen politischen Maßnahmen somit nochmals deutlich erhöhen. Umweltinnovationen können auch soziale Innovation, also Anpassungen gesellschaftlicher Handlungsmuster hervorbringen. Diese gesellschaftliche Anpassung kann dann den Einsatz von Umweltinnovationen zusätzlich verstärken. Ohne politische Steuerung kann es zudem dazu kommen, dass sich der Einsatz von Umweltinnovationen aus unternehmerischer Sicht schlicht nicht lohnt. Eine Diffusion würde dadurch ausbleiben. Damit eine nachhaltige Transition also tatsächlich Erfolg hat, ist ein sinnvoller Einsatz von verschiedener und aufeinander abgestimmter politischer Maßnahmen erforderlich.

„Wir müssen einerseits nischenfördernde Innovationspolitik, zum Beispiel im Bereich der Wärmepumpen, unterstützen. Es reicht aber nicht aus, wenn wir damit auch Subventionen für Gasheizungen vergeben.
Das heißt, es braucht gleichzeitig auch eine Destabilisierung von umweltschädlichen Technologien.“
− Sebastian Losacker

Gast: Dr. Sebastian Losacker
Redaktion und Moderation: Björn Braunschweig
Produktion: Björn Braunschweig und Theodor Langer
Shownotes: Theodor Langer und Björn Braunschweig

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