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Ressourcen, Netzwerke und NGOs

In dieser Folge von SpacEconomics spricht Anika Zorn mit ihrem Kollegen Björn Braunschweig über MigrantInnen(selbst)organisationen und sonstige NGOs, ihre Netzwerke, Wissenstransfer und sonstige notwendige Ressourcen für die Arbeit der Organisationen sowie darüber,

  • welche Rolle Netzwerke für NGOs spielen,
  • warum ein Geographiestudium für viele Bereiche der Wissenschaft hilfreich ist,
  • inwiefern Fundraising mehr ist als Menschen in bunten Jacken in Fußgängerzonen,
  • warum „Integration“ ein leerer Signifikant ist,
  • welche Fragestellungen mithilfe wirtschaftsgeographischer Ansätze untersucht werden können,
  • wie wir das Spannungsfeld zwischen Objektivität und eigenen Werten überwinden und
  • warum MigrantInnen(selbst)organisationen mehr sind als Unterstützerinnen in der Inklusion.

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Diese Project-Insights Folge von SpacEconomics beschäftigt sich mit der Vorstudie zu Björn Braunschweigs Dissertationsprojekt. Er hat in den vergangenen Monaten in Sachsen MigrantInnen(selbst)organisationen und/oder in der Inklusionsarbeit tätige Non-Governmental-Organisations (NGOs) und deren Wirken in Netzwerk(organisation)en untersucht. Dabei interessierte ihn vor allem die Unterstützung, die die NGOs durch ihre Netzwerke im Bereich von Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit erfahren. „Ich bin selbst in einer MigrantInnenselbstorganisation aktiv und da haben wir im Verein in der Vergangenheit feststellen müssen, dass Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising für die NGOs eine erhebliche Herausforderung darstellen. Das ist insbesondere deswegen fatal, weil NGOs als Nicht-Regierungs-organisationen auf externe Ressourcen angewiesen sind, um zu funktionieren. Wenn es also an dieser Stelle hakt, sind auch alle Kernaufgaben betroffen“, erklärt Björn Braunschweig.

„Tatsächliche Wertfreiheit können wir als ForscherInnen meines Erachtens nie erreichen.
Aber wir können versuchen, den persönlichen Einfluss über die Wahl der Methoden zu minimieren und
die Nachvollziehbarkeit über die offene Kommunikation, wie wir zu den jeweiligen Ergebnissen gekommen sind,
zu erreichen. So machen wir uns zwar wahnsinnig angreifbar, aber genau diese Kritisierbarkeit unserer Ergebnisse macht wissenschaftlichen Diskurs erst möglich.“Björn Braunschweig

Dabei stellt Anika Zorn unverhohlen fest: „Das heißt aber ja auch, dass Du mit Deinem Forschungsgegenstand extrem eng verwoben bist. Wie stellst Du dann wertfreie wissenschaftliche Ergebnisse sicher?“. Björn Braunschweig erläutert: „Tatsächliche Wertfreiheit können wir als ForscherInnen meines Erachtens nie erreichen. Aber wir können versuchen, den persönlichen Einfluss über die Wahl der Methoden zu minimieren und die Nachvollziehbarkeit über die offene Kommunikation, wie wir zu den jeweiligen Ergebnissen gekommen sind, zu erreichen.“. Entsprechend entschied er sich, mit einem Mixed-Method-Ansatz vorzugehen und kombinierte eine formalisierte Netzwerkanalyse auf Basis einer standardisierten Online-Befragung mit weiteren quantitativen Analysen und qualitativen ExpertInneninterviews. „Gerade bei qualitativen Befragungen laufen wir als WissenschaftlerInnen Gefahr, unsere eigenen Vorstellungen einfließen zu lassen. Entsprechend habe ich mich für eine deduktive Kategorienbildung zur Auswertung entschlossen.“, führt Björn Braunschweig fort. „Das heißt, dass ich die Analysekategorien aus der Literatur und bereits durchgeführten Untersuchungen ableite und die Kategorien nicht anhand der Interviews selbstständig bilde. Damit habe ich die Chance, die Perspektiven anderer ForscherInnen meinen eigenen voranzustellen.“

„Ich würde dann einfach mal folgende These aufstellen:
Auch für andere Forschungsfragen aus anderen Disziplinen, die sich für Wissensflüsse in Netzwerken interessieren, können wirtschaftsgeographische Ansätze von Nutzen sein.“ Anika Zorn

Vor dem Hintergrund des Themas und der dargelegten Herangehensweise stellt sich jedoch die Frage, inwiefern es sich um eine klassisch wirtschaftsgeographische Untersuchung handelt. „Prinzipiell bin ich erstmal froh, dass wir für SpacEconomics den Untertitel ‚Wirtschaftsgeographie im weiteren Sinne‘ festgelegt haben, sodass ich hier auch über meine Forschung reden kann. Denn das ist erstmal die wichtigste Erkenntnis gewesen: Der Nutzen von Netzwerken für die NGOs liegt – entgegen meiner Erwartungen – nicht auf der Bereitstellung von Ressourcen wie Geld oder Sachmittel, sondern vor allem von Wissen. Entsprechend habe ich auch Ansätze der wissensbasierten Clustertheorie nutzen können, um die Wissensflüsse in den Netzwerken zu betrachten und zu verstehen.“, erklärt Björn Braunschweig. „Dabei ist auffällig, dass die Art des bereitgestellten Wissens extrem stark vom Formalisierungsgrad der Netzwerke abhängt. Während in den meisten informellen und eher informellen Netzwerken Erfahrungswissen überwiegt, liegt der Schwerpunkt in institutionalisierten Netzwerken zusätzlich auf explizitem Wissen, dass den NGOs bereitgestellt wird. Also Wissen, das festgehalten und übertragbar gemacht wurde, z.B. über Schulungen, Vorlagen, Leitfäden oder Ähnliches.“, fährt er fort. Anika Zorn führt ergänzend aus: „ Wenn ich das so höre, würde ich dann einfach mal folgende These aufstellen: Auch für andere Forschungsfragen aus anderen Disziplinen, die sich für Wissensflüsse in Netzwerken interessieren, können wirtschaftsgeographische Ansätze von Nutzen sein.“.

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Diagramm: Idealtypische Darstellung der bereitgestellten Ressourcen und Wissensflüsse in und zwischen Netzwerken und Netzwerkorganisationen
von NGOs. Während in der linken NGO das Wissen bei einzelnen AkteurInnen verbleibt, wird dieses in der rechts dargestellten NGO weiterverteilt.

Neben den externen Wissensflüssen spielen entsprechend auch die internen Wissensflüsse für die positive Entwicklung
der Organisation eine erhebliche Bedeutung (Darstellung: Björn Braunschweig 2020)

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„Das Wichtigste, was ich NGOs an dieser Stelle mitgeben kann, ist:
Wenn es die knappen Ressourcen irgendwie zulassen, vernetzt Euch.“

– Björn Braunschweig

Auffällig geworden ist auch, dass in dem Moment, in dem NGOs den Nutzen vom Netzwerken erkennen, meist schon sehr viel erreicht ist. „Die NGOs, mit denen ich gesprochen habe, die die Sinnhaftigkeit und den Nutzen von Netzwerken erkannt hatten, haben eher in anderen Bereichen Kapazitäten eingespart als dort.“, erklärt Björn Braunschweig. „Gleichzeitig wurde deutlich, dass vor allem Kleinst-NGOs in institutionalisierten Netzwerken erheblich davon profitieren, wenn sie in ihren ersten eigenen Projekten mit größeren Verbänden zusammenarbeiten. Aus diesen Kooperationen nehmen sie nicht nur Erfahrungswissen mit, z.B. wie Projektmanagement funktioniert oder Abrechnungen richtig koordiniert werden, sondern sie bauen sich auch ein Track-Record gegenüber MittelgeberInnen auf. Das heißt, sie erarbeiten sich für zukünftige Projektanträge einen Vertrauensvorschuss. Um da hinzukommen, braucht es jedoch ein funktionierendes Netzwerk. Das Wichtigste, was ich NGOs an dieser Stelle also mitgeben kann, ist: Wenn es die knappen Ressourcen irgendwie zulassen, vernetzt Euch.“, ergänzt er. Neben der Arbeit von NGOs in der Inklusionsarbeit, hat Björn Braunschweig zudem gezielt auch MigrantInnen(selbst)organisationen (MSOs) betrachtet, die in diesem Bereich tätig sind.

„Es ist ein Fehler, MigrantInnenselbstorganisationen auf ihren Nutzen für Inklusion zu reduzieren.
Sie sind genauso vielschichtig wie andere NGOs. Die Bezeichnung ‚MigrantInnenselbstorganisation‘
sagt erst einmal nur etwas über die Organisationsform aus.“ – Björn Braunschweig

Björn Braunschweig kommt es jedoch weniger auf die Unterschiede als auf die Gemeinsamkeiten an: „Es ist ein Fehler, MigrantInnenselbstorganisationen auf ihren Nutzen für Inklusion zu reduzieren. Sie sind genauso vielschichtig wie andere NGOs. Die Bezeichnung ‚MigrantInnenselbstorganisation‘ sagt erst einmal nur etwas über die Organisationsform aus. Nichtsdestoweniger geht es dann bei Fragen, die zum Beispiel Antragsverfahren angehen, auch um spezifische Herausforderungen. So sprach ein Interviewteilnehmer davon, dass wir uns weniger die Frage stellen sollten, warum so wenige MigrantInnenselbstorganisationen bei Projektförderungen dabei sind, sondern eher, wie wir es schaffen, dass die Vereine, die gefördert werden, so homogen weiß und akademisch sind.“ Daran wird auch deutlich, dass die Untersuchung von der gesellschaftlichen Diskussion über strukturellen Rassismus in den vergangenen Monaten beeinflusst wurde. „Dabei wiederum war auffällig, dass obwohl die Zielgruppe der NGOs dieselbe ist – vornehmlich MigrantInnen – die MSOs deutlich häufiger ungefragt auf das Thema strukturellen Rassismus eingingen als die sonstigen NGOs. Hier ist somit zumindest in der Wahrnehmung dieses Themas ein deutlicher Unterschied zu erkennen.“ Das zeigt auch, dass in der Vernetzung der verschiedenen NGOs noch Nachholbedarf besteht. Nichtsdestoweniger scheinen es oftmals vor allem die lokalen Bedingungen zu sein, die das Erblühen oder Vergehen dieser Netzwerkstrukturen beeinflussen. „Wenn ich als Kommune möchte, dass MigrantInnenselbstorganisationen und sonstige NGOs sich bei mir gut entwickeln, kann ich mit der Bereitstellung von formalisierten Netzwerkstrukturen schon einmal viel erreichen.“, schließt Björn Braunschweig ab.

„Darin liegt meines Erachtens auch der riesige Vorteil, den wir GeographInnen haben:
Wir lernen Konzepte, Theorien und Frameworks aus allen möglichen Disziplinen kennen
und können diese dann – wenn wir es richtig anstellen – gewinnbringend zusammenführen,
um unseren Erkenntnisgewinn zu steigern.“ – Björn Braunschweig

Fragen, Kommentare, Anregungen und Themenwünsche gern in die Kommentarbox schreiben.

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