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02 | Südvorstadt

Leipzig | Eine Stadt im Wandel

Ein Podcast von Elias Götze, Leonard Härtwich, Jonathan Hendrich, Martin Henze und Linda von Faber. Aufgenommen im Sommersemester 2022 im Rahmen einer Lehrveranstaltung über sozialempirische Arbeitsmethoden in der Humangeographie.

Die Podcastfolge Zufriedene Gentrifier im Zentrum-Süd setzt sich mit der Entwicklung eines zentrumsnahen Szeneviertels in Leipzig, dem „Zentrum-Süd“, auseinander. Die mittlerweile zweitgrößte Stadt Ostdeutschlands wächst rasant und wird dabei immer wieder vor neue Probleme gestellt: Wohnungsnot, steigende Mieten, steigende Ansprüche an Infrastruktur und Versorgung, sowie eine veränderte Bevölkerungsstruktur. Dies geht natürlich nicht spurlos am Stadtbild vorbei.
Wir untersuchen, wie sich die Entwicklung der gesamten Stadt in diesem Viertel widerspiegelt, was sich alles verändert hat, wie die Bevölkerung mit den neuen Bedingungen zurechtkommt, und vor allem, ob sich auch hier Hinweise auf die vieldiskutierte Gentrifizierung finden lassen.


Der Podcast sowie die nachfolgenden ShowNotes wurden vonElias Götze, Leonard Härtwich, Jonathan Hendrich, Martin Henze und Linda von Faber in Eigenarbeit im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu sozialempirischen Arbeitsmethoden in der Humangeographie erstellt.


The long read

Städte unterliegen einem ständigen Wandel: sie wachsen, sie schrumpfen, sie boomen, sie bröckeln. Manchmal tun sie dies sogar alles gleichzeitig, je nachdem, welche Viertel man betrachtet. Die jüngere Entwicklung der alten Messe- und Handelsstadt Leipzig ist geprägt von solchen gegenläufigen, sich abwechselnden Prozessen. Nach einer wechselvollen Phase in den 1990er und 2000er-Jahren erlebt die Stadt etwa seit 2012 ein enormes Wachstum, welches bis heute anhält (Statista 2022). Vor allem unter jungen Leuten gilt die Stadt als „hip“ und beliebt. Um diesen Zeitraum seit 2012 soll es in diesem Podcast gehen: Wir untersuchen anhand des Stadtteils Zentrum-Süd, wie sich die Entwicklung der gesamten Stadt hier konkret zeigt, wie die Bevölkerung damit umgeht und ob es sich auf die Zufriedenheit der Bewohner auswirkt, und was es eigentlich mit dem vieldiskutierten Begriff der Gentrifizierung auf sich hat.

Abb. 01: Entwicklung der Gesamtbeölkerung Leipzigs von 2000 bis 2021 (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

Der Podcast wurde von Bachelor-Student:innen der Geographie an der Universität Jena erarbeitet. Im Rahmen von vier Exkursionstagen im Mai 2022 haben wir die Stadt und insbesondere das Zentrum-Süd kennengelernt und dort selbst kartiert, befragt und interviewt. Die gesammelten Daten und Erfahrungen sind die Grundlage des Podcasts. Neben Konzepten aus der Gentrifizierungsforschung nutzen wir auch den Ansatz der 15-Minuten-Stadt, um das Viertel zu
analysieren. Dieser Podcast ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse unserer Analyse. Insgesamt wurden fünf verschiedene Stadtteile Leipzigs so erforscht. Die anderen Podcastfolgen sind unter ebenfalls auf diesem Blog zu finden.

Entwicklung der Stadt Leipzig

Die Stadt Leipzig hat seit der Wende eine wechselvolle Entwicklung durchlebt (Statista 2022) Zählte Leipzig zum Ende der DDR noch etwa 530.000 Einwohner:innen, schrumpfte die Stadt in den 1990er Jahren erheblich, verlor knapp 100.000 Einwohner:innen. Ein Tiefpunkt von etwa 437.000 Einwohner:innen wurde 1998 erreicht (Statista). Gründe für die Schrumpfung war hauptsächlich eine wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in der Stadt, ausgelöst durch den abrupten Wechsel des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Hinzu kam eine Welle der Suburbanisierung, die Menschen zogen aus den Kernstädten in das Umland. (vgl. Rink 2021)

Abb. 02: Entwicklung der durchschnittlichen Gesamtmiete pro m² in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis Daten der Stadt Leipzig)
Abb. 03: Entwicklung der durchschnittlichen Grundmiete pro m² in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis Daten der Stadt Leipzig)

Im folgenden Jahrzehnt erholte sich die Stadt. Durch massive Investitionen zur Steigerung der Wirtschaftsleistung und zahlreiche Eingemeindungen im Umland wuchs die Bevölkerung wieder an, wie in der Grafik zur Gesamtbevölkerung Leipzigs zu sehen ist.. 2010 hatte die Stadt wieder etwa 523.000 Einwohner:innen. Seitdem hat sich das Wachstum der Stadt noch einmal verstärkt, 2021 überschritt die Stadt die Marke von 600.000 Einwohner:innen, welches graphisch in der Grafik zum Wanderungssaldo gut dargestellt wird. Das macht sich zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar: In der Abbildung 2 zur Entwicklung der Gesamtmiete Leipzigs steigt im Untersuchungszeitraum seit 2012 die durchschnittliche Grundmiete pro m² in der Stadt von 7,67€ auf 8,67€ an (Stadt Leipzig 2022).

Das Tourist:innenaufkommen in der Stadt ist stetig gewachsen und hat im Jahr 2019 mit 1.929.000 Tourist:innen und 3,6 Millionen Übernachtungen einen Höhepunkt erreicht. Seitdem haben sich die Zahlen aufgrund der Corona-Pandemie jedoch etwa halbiert (2021: 948.000 Ankünfte, ca. 2 Millionen Übernachtungen).

Charakter des Stadtteils Zentrum-Süd

Der Stadtteil Zentrum-Süd liegt zentrumsnah südlich des Stadtrings. Er setzt sich zusammen aus dem weitläufigen Clara-Zetkin-Park im Westteil, dem östlich angrenzenden gehobenen Musikviertel sowie wiederum östlich davon dem Kiez um die Karl-Liebknecht-Straße. Südlich schließt sich entlang der Karl-Liebknecht-Straße nahtlos die Leipziger Südvorstadt an, nördlich liegt das Stadtzentrum (Stadt Leipzig 2022).

Das Viertel hat etwa 13.800 Einwohner:innen auf einer Fläche von 1,56 km² und gehört mit knapp 9000 EW/km² zu den dichter besiedelten Stadtteilen Leipzigs. Das Medianhaushaltseinkommen liegt bei 2600€ (Leipzig: 2065€) und die Arbeitslosenquote bei 2,8% (Leipzig: 6,1%). Migrant:innen machen 17,9% der Bevölkerung aus, was etwas mehr ist als im Durchschnitt der gesamten Stadt. Das Durchschnittsalter im Stadtteil beträgt 41,3 Jahre, womit das Zentrum-Süd im Schnitt etwa ein Jahr jünger ist als die gesamte Stadt6, was graphisch in der Abbildung 5 zur Verteilung der „18- bis 64- Jährigen der Stadt Leipzig“ dargestellt wurde.

Abb. 04: Entwicklung der Anzahl Minderjähriger in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)
Abb. 05: Entwicklung der Anzahl 16- bis 64-Jähriger in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

Im Bereich um die belebte Karl-Liebknecht-Straße herrscht urbanes Flair mit vielfältigen Geschäften, Restaurants und sonstigen Gastronomiebetrieben. Sowohl überregionale als auch lokale Geschäfte und Gastronomie sind hier zu finden, wie in der graphischen Funktionskartierung zu sehen ist. Der Anteil der Betriebe der Kreativwirtschaft ist mit 10,3 Prozent eher niedrig, sie sind aber dennoch vorzufinden. Es herrscht ein großer Anteil überregionalen Ketten an den Betrieben
mit 44,0 Prozent bei einem Durchschnittswert von 13,2 Prozent, wobei die Ausstattung an Lebensmittelläden eher niedriger ausfällt. Ca. ein Fünftel der Betriebe in diesem Gebiet entlang der Karl-Liebknecht-Straße ist gastronomisch.

In der Kartierung ist auch auszumachen, dass die Obergeschosse der Gebäude hauptsächlich Wohnungen vorbehalten sind. Es gibt nur wenige Hotels und Pensionen. Zudem sind einige „gehobene“ Dienstleistungen wie Anwaltskanzleien, Steuerberatungen und Arztpraxen vorzufinden. Eine Besonderheit stellt die Feinkost dar, ein soziokulturelles Zentrum auf einem ehemaligen Fabrikgelände. Hier finden alternative Läden und Kunstschaffende einen Platz im Viertel.

Entwicklung des Zentrum-Süd

Das Viertel ist seit 2012 um etwa 2000 Einwohner:innen gewachsen. Hauptsächlich ist dies auf ein seitdem durchgehend positives Wanderungssaldo zurückzuführen, welches in der Abbildung 7 „Wanderungsbewegung Zentrum- Süd“ deutlich zu erkennen ist.. Ebenso herrscht konstant ein leichter Geburtenüberschuss. Seit etwa 2010 haben sich die Wanderungsbewegungen im Stadtteil verstärkt: Es ziehen mehr Menschen hierher, aber auch mehr Menschen weg. Durch das Wanderungssaldo sowie den Geburtenüberschuss verändert sich auch die demographische Struktur des Viertels. Der Anteil von Migrant:innen an der Bevölkerung stieg von 12,3 % im Jahr 2012 auf 17,9 % in 2021. Das Medianhaushaltseinkommen kletterte von 1.640 € im Jahr 2012 auf 2.600 € im Jahr 2021. Die Haushaltsgröße blieb dabei gleich, mit durchschnittlich 1,6 Personen pro Haushalt (Stadt Leipzig 2022).

Abb. 06: Wanderungsbewegung (Zuzüge (hellblau) und Fortzüge (dunkelblau)) im Zentrum Süd (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

Im Zeitraum seit 2012 ist die durchschnittliche monatliche Gesamtmiete im Viertel von 7,92 € auf 9,49 € pro m² gestiegen wie in der Grafik „Mietpreise Zentrum- Süd“ deutlich wird. Der Mietpreisanstieg folgt dem Trend von ganz Leipzig, hier stiegen die Mieten von 7,23 €/m² auf 8,67 €/m². Die prozentuale Mietbelastung im Viertel sank dabei von 38 % im Jahr 2012 auf 25 % im Jahr 2021, welche ebenfalls aus der Abbildung 8 „Mietbelastung Zentrum- Süd“ hervorgeht.8 Aus
dem gestiegenen Haushaltseinkommen bei gleichgebliebener Haushaltsgröße sowie der gesunkenen Mietbelastung bei steigenden Mietpreisen lässt sich erkennen, dass die Bewohner:innen des Stadtteils heute im Schnitt finanzkräftiger sind als noch 2012. Vor dem Hintergrund der gleichzeitig intensivierten Wanderungsbewegungen mit vermehrten Weg- und
Zuzügen gehen wir davon aus, dass im Viertel Verdrängungsprozesse stattfinden, im Zuge derer finanzschwache Bewohner:innen durch zahlungskräftigere Neuankömmlinge verdrängt werden.

Abb. 07: Entwicklung der Mietbelastung im Zentrum-Süd (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)
Abb. 08: Entwicklung der Gesamtmiete (dunkelblau) und Grundmiete (hellblau) im Zentrum-Süd (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

Versorgung der Bevölkerung im Zentrum-Süd

Um zu analysieren, wie gut grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung im Viertel erfüllt werden, bedienen wir uns dem Konzept der 15-Minuten-Stadt. Das Konzept besagt, dass innerhalb von 15 Minuten die Lokale der Daseinsgrundfunktionen (DSGF) ohne motorisierte Fahrzeuge erreichbar sind. Demnach sollten Lebensmittelgeschäfte, Schulen und ähnliches in diesem Zeitraum zu Fuß oder mit dem Fahrrad besucht werden können. In der Abbildung 9 sieht man, dass die KarLi als Herz des Zentrum-Süds die Kriterien der 15-Minuten-Stadt erfüllt. Nun wird etwas genauer auf die DSGF eingegangen.

Die Mieten liegen im Zentrum-Süd mit 7,39€/m² über dem Leipziger Mittel (6,47€/m²), aber im mittleren Bereich (Median) verglichen mit den anderen betrachteten Stadtteilen. Die Mieten sind seit 2013 zwar stärker als im Leipziger Durchschnitt gestiegen, aber eher gemäßigt im Vergleich zu den anderen betrachteten Stadtvierteln. In allen betrachteten Stadtteilen gaben 37.6% der Befragten an, mit dem Wohnungsangebot eher oder voll und ganz zufrieden zu sein. Im ZentrumSüd lag dieser Wert bei 25%. Die Wohnungssituation ist hier also angespannter als andernorts.

Abb. 09: Versorgungseinrichtungen in einem 15 minütigen Radius im Zentrum Süd (Eigene Darstellung)

Für die Versorgung spricht der Anteil der Lebensmittelläden an den Betrieben. Dieser ist im Zentrum-Süd höher als in den anderen betrachteten Stadtteilen/Straßenzügen — mit Ausnahme von Plagwitz, wo der Anteil deutlich höher liegt. Der Großteil der Befragten ist zufrieden bis sehr zufrieden mit dem Angebot der Versorgung. Ein sehr beliebter Erholungsort im Zentrum-Süd ist der Clara-Zetkin-Park. Abgesehen davon gibt es hier nur wenige und kleine Parks; außerdem
befinden sich an der KarLi wenig Bänke und Sitzmöglichkeiten. Dafür scheint das kulturelle Angebot im Viertel sehr vielfältig zu sein: Die Mehrheit der Bewohner:innen zeigte sich damit sehr zufrieden. Allerdings gibt es viele gastronomische Einrichtungen, die zum Erholen einladen. Das Angebot wird hier etwas schlechter als in den anderen Stadtteilen wahrgenommen, es ist aber immer noch ausreichend. Die Funktionskartierung weist viele Betriebe, Läden und Dienstleistungsbetriebe nach, Angebot und Nachfrage der Arbeit sind also groß. Laut der Befragung lässt sich allerdings keine Änderung in den letzten 5 Jahren in der Anzahl der Dienstleister:innen feststellen. Daraus kann man schließen, dass sich Angebot und Nachfrage in diesem Zeitraum auf dem Arbeitsmarkt kaum geändert haben. Die KarLi ist das lokale Zentrum für den Verkehr: Straßenbahnen und Busse haben hier mehrere Haltestellen und bieten eine schnelle Verbindung ins Zentrum. Seit der Umgestaltung 2014/15 gibt es eigene Radwege auf der Straße, welche stark frequentiert werden. Die Bewohner:innen empfinden die Verkehrsanbindung des Stadtteils als sehr gut.

Unter den betrachteten Stadtvierteln bietet das Zentrum-Süd die meisten Bildungseinrichtungen je 1000 Einwohner:innen (0.51/1000 EW); der Leipziger Durchschnitt liegt bei 0.26. Demnach kann man von einem guten Bildungsangebot sprechen. Zu erwähnen ist auch, dass sich die Universitäts- und Stadtbibliothek im Viertel befinden. Die allermeisten Teilnehmer:innen unserer Befragung hatten keine Meinung zum Bildungsangebot, vor allem die älteren Befragten. Die jüngeren waren zufrieden.

Auswirkungen der Veränderungen des Stadtteils

Neben den Mieten ist auch die Anzahl der Neubauprojekte laut unserer Umfrage in den letzten 5 Jahren stark angestiegen. Beides wird von der Bevölkerung überwiegend negativ aufgenommen, vor allem der starke Mietanstieg. Auch die Gastronomie ist teurer geworden, was ebenso kritisch gesehen wird.

In unserer Befragung haben wir die Passant:innen ebenso gefragt, wie sich ihr Besuchsverhalten von Angeboten verschiedener Lebens- und Freizeitbereiche in den letzten 5 Jahren verändert hat. Bezogen auf Kultur, Sport sowie Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung gab jeweils der Großteil der Befragten an, ihr Nutzungsverhalten nicht verändert zu haben. Diese Ergebnisse decken sich mit den Daten aus den anderen untersuchten Vierteln. In zwei Bereichen sind jedoch Unterschiede zu finden: Erstens ist die Besuchshäufigkeit von Gastronomiebetrieben im Schnitt aller Stadtteile leicht gestiegen – im Zentrum-Süd allerdings zurückgegangen. 41,3% der Befragten gaben an, entweder seltener oder deutlich seltener gastronomische Angebote wahrzunehmen. In den anderen untersuchten Vierteln (ohne Zentrum-Süd) sagten dies im Schnitt nur 14,3% der Befragten. Woher genau dieser Unterschied kommt, war nicht eindeutig festzustellen. Zwar sind die Preise der Gastronomie im Viertel laut unserer Umfrage in den letzten 5 Jahren gestiegen, dieselbe Entwicklung ist allerdings gleichermaßen in den anderen betrachteten Stadtteilen zu finden. Möglicherweise wirkt die Corona-Pandemie hier auch noch länger nach als anderswo.

Abb. 10: Einseitige Funktionskartierung der Karl-Liebknecht-Straße Juni 2022 (Eigene Darstellung und Erhebung)

Zweitens besuchten die Bewohner:innen aller untersuchten Stadtteile, Grünflächen und Parks9 nun etwas häufiger als noch vor 5 Jahren – allerdings ist dieser Anstieg im Zentrum-Süd etwas schwächer als in den anderen Vierteln. Hier gab ein Drittel der Befragten an, entweder deutlich häufiger oder etwas häufiger Grünflächen aufzusuchen als vor 5 Jahren. Im Schnitt der anderen Stadtviertel waren es 38,8%. Ein etwas deutlicherer Unterschied zu den anderen Stadtteilen zeigt sich jedoch in der Bewertung der Grünflächen. Sowohl die Anzahl der vorhandenen Erholungsmöglichkeiten wie Parks oder
Spazierwege, als auch ihr Zustand wird von den Bewohner:innen des Zentrum-Süd etwas negativer eingeschätzt als anderswo. Ebenso fühlen sie sich auf den Grünanlagen des Stadtteils weniger wohl als die anderen Befragten. So sagten im Schnitt 19,2% aller Befragten aller Stadtteile, dass sie die Grünflächen im Viertel nicht als gepflegt und ordentlich empfinden. Im Zentrum-Süd lag dieser Anteil bei 31,8%. Knapp 14% aller Umfragenteilnehmer:innen schätzten die Anzahl der Erholungsmöglichkeiten in ihrem jeweiligen Stadtteil als nicht ausreichend ein, auf der KarLi waren 24,4% der Befragten dieser Meinung.

Zudem gaben insgesamt 88,8% der befragten Personen in allen Stadtteilen an, sich zumindest teilweise auf den Grünflächen des Viertels wohlzufühlen. In Zentrum-Süd waren es „nur“ drei Viertel.

In der Wahrnehmung der Bevölkerung ist die grüne Infrastruktur im Viertel nicht so einladend wie anderswo. Ob das an einem tatsächlich schlechteren Zustand oder an höheren Ansprüchen der Befragten liegt, war nicht eindeutig festzustellen. Das hohe Haushaltseinkommen im Viertel könnte auf letzteres hindeuten. Zumindest können diese Ergebnisse ein Hinweis darauf sein, warum die Bewohner hier etwas seltener Grünflächen aufsuchen als in den anderen untersuchten Stadtteilen. Der Tourismus scheint in der Veränderung des Stadtteils und für die Zufriedenheit der Bewohner:innen keine große Rolle zu spielen. Die meisten Befragten gaben an, die Anzahl der Touristen sei leicht gestiegen oder gleichgeblieben. Das scheint die Bewohner:innen nicht zu stören: Lediglich eine befragte Person gab an, dieser Entwicklung nicht positiv oder neutral gegenüber zu stehen.

Die Veränderungen, die der Stadtteil Zentrum-Süd in den letzten fünf Jahren erfahren hat, scheinen sowohl auf die Zufriedenheit der Bewohner:innen als auch deren Besuchsverhalten in Bezug auf die untersuchten Kategorien keinen großen Einfluss zu haben, weder im positiven noch im negativen Sinne. Als größtes Problem wird die Miet- und Wohnsituation angesehen.

Zusammenfassung und Fazit

Im Rahmen dieses Podcasts haben wir den Leipziger Stadtteil Zentrum-Süd und seine Bewohner:innen aus verschiedenen Blickwinkeln kennengelernt. Im Folgenden wollen wir die Ergebnisse dieser Betrachtung zusammenführen und die Frage beantworten, inwiefern sich die Veränderungen im Viertel auf die Zufriedenheit der Bewohner:innen auswirkt. Wir gehen davon aus, dass das Viertel im Untersuchungszeitraum einen Gentrifizierungsprozess durchlaufen hat. Zwar mag die Betriebsstruktur nicht „typisch“ für ein gentrifiziertes Stadtviertel sein, jedoch deuten das massiv gestiegene durchschnittliche Haushaltseinkommen sowie die intensivierten Wanderungsbewegungen auf Verdrängungsprozesse zugunsten von finanzstarken Zuzüglern hin, unter Verdrängung von weniger finanzstarken „angestammten“ Bewohner:innen. Zudem ist die lokale Ökonomie im Viertel nicht besonders ausgeprägt, was sich an einem großen Anteil überregionaler Ketten sowie einer unterdurchschnittlichen Anzahl von Lebensmittelgeschäften äußert. Laut der Bewohner:innen sind auch die gastronomischen Betriebe im Viertel merklich teurer geworden. Das Zentrum-Süd ist kein sonderlich touristisches Viertel, es gibt wenige Übernachtungsmöglichkeiten entlang Karl-Liebknecht-Straße. Das Tourist:innenaufkommen im Viertel ist laut unserer Befragung gleichgeblieben bis leicht gestiegen, scheint in der Entwicklung des Viertels jedoch keine bedeutende Rolle zu spielen.

Die besprochenen Daseinsgrundfunktionen sind im Viertel weitestgehend erfüllt. Vor allem mit der Verkehrsanbindung und der Lebensmittelversorgung (und das trotz relativ weniger Lebensmittelgeschäfte) sind die Bewohner zufrieden. Zum Bildungsangebot vor Ort hatten die meisten Leute keine Meinung, jedoch ist dieses aufgrund der hohen Dichte von Bildungseinrichtungen zumindest quantitativ als gut zu bewerten. Etwas besser und vor allem zahlreicher könnten die Erholungsmöglichkeiten wie Parks und Sitzbänke sein. Auch die Wohnungssituation empfinden viele als angespannt.
Das Nutzungsverhalten der Bewohner:innen in Sachen Kultur, Sport, Grundversorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung hat sich in den letzten fünf Jahren kaum verändert.

Ein Rückgang war jedoch in der Anzahl der Gastronomiebesuche zu verzeichnen, die Gründe hierfür ließen sich nicht eindeutig feststellen. Der Preisanstieg, den die Bevölkerung hier wahrgenommen hat, könnte eine Rolle spielen. Dieser wurde ebenso negativ aufgenommen wie die steigenden Mieten und die steigende Zahl von Neubauprojekten. Die Nutzung von Grünanlagen ist etwas seltener als in den anderen untersuchten Stadtteilen, ebenso werden die Parks und Grünflächen im Viertel hier im Schnitt schlechter bewertet. Das leicht gestiegene Touristenaufkommen wird von der lokalen Bevölkerung neutral bis positiv aufgenommen. Möglicherweise wirkt sich der Tourismus also leicht positiv auf die allgemeine Zufriedenheit der Bewohner aus. Da der Tourismus vor Ort allerdings keine große Rolle zu spielen scheint, ist dieser Effekt wahrscheinlich nur sehr klein.

Abb. 11: Charakteristika des Zentrum-Süd (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

In Conclusio hat der Leipziger Stadtteil „Zentrum-Süd“ in den Jahren seit 2012 eine Entwicklung durchgemacht, welche von Bevölkerungswachstum, steigenden Mieten und vielen Zu- und Wegzügen geprägt war, und somit wesentliche Merkmale einer Gentrifizierung erfüllt. Mittlerweile gehört es zu den wohlhabenderen Vierteln der Stadt. Wir konnten keine wesentlichen, durch diesen Wandel ausgelösten Änderungen im Verhalten der Bewohner:innen feststellen. Die Zufriedenheit der Bevölkerung ist allerdings hoch. Den meisten Bewohner:innen geht es finanziell gut, zudem bietet das Viertel eine hohe Lebensqualität und eine sehr gute Abdeckung aller Grundbedürfnisse. Lediglich die angespannte Wohnungssituation und die mittlerweile hohen Mieten trüben das Bild, was viele Bewohner:innen als großes Problem wahrnehmen. Das Zentrum-Süd gehört also zu den Nutznießern der Entwicklung Leipzigs. Dies muss aber nicht heißen, dass es nur positive Seiten gibt – die hohe Zufriedenheit der jetzigen Bewohner:innen ist zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass viele Menschen in den unteren Einkommensschichten und in prekären Lebenssituationen aus dem Viertel gedrängt wurden. Auch diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass der Stadtteil so beliebt geworden ist.

Literatur und Quellen

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Datenquellen:

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  • Statistikportal der Stadt Leipzig: https://statistik.leipzig.de/
  • Google Maps
  • Eigene Datenerhebungen