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04 | Zentrum-Nordwest

Leipzig | Eine Stadt im Wandel

Ein Podcast von Johanna Eckert, Hannes Alexander Prehn, John Weidner und Lena Forner. Aufgenommen im Sommersemester 2022 im Rahmen einer Lehrveranstaltung über sozialempirische Arbeitsmethoden in der Humangeographie.

In diesem Podcast stellen Geographie Studierende der Universität Jena ihr Forschungsprojekt vor. Dafür haben sie sich in der ersten Podcast-Folge mit der Stadtentwicklung Leipzigs innerhalb der letzten 10 Jahre beschäftigt. Um dies anschaulich zu beschreiben, schildern sie ihre Eindrücke und verknüpfen diese mit verschiedenen Methoden und Theorien. Daraus entsteht eine Spannende Folge, die verschiedenste Fragen beantwortet. Unter anderem: Inwiefern in Leipzig Gentrifizierung stattfindet und ob dadurch Menschen verdrängt werden, aber auch welche Probleme sich über die
Jahre herauskristallisiert haben. All das und was es beispielsweise mit der 15-Minuten-Stadt auf sich hat, ebenso vieles mehr erfahrt ihr hier.


Der Podcast sowie die nachfolgenden ShowNotes wurden von Johanna Eckert, Hannes Alexander Prehn, John Weidner und Lena Forner in Eigenarbeit im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu sozialempirischen Arbeitsmethoden in der Humangeographie erstellt.


The Long Read

Im Rahmen des Moduls „Sozialempirische Arbeitsmethoden“ haben wir uns mit der Stadt Leipzig und verschiedenen Stadtvierteln genauer beschäftigt. Dafür haben wir in mehreren Exkursionen zunächst mit Hilfe einer Ortsbegehung die Stadt erkundet und anschließend eine Kartierung sowie eine Befragung von zufällig ausgewählten Passanten durchgeführt. Die Daten, die wir daraus gesammelt haben, wurden anschließend verarbeitet und werden jetzt in der Podcast-Folge zusammenfassend präsentiert. Ergänzend zu unseren Erhebungen wurden ebenso viele Daten des Statistischen Bundesamtes sowie der Stadt Leipzig verwendet. Verbunden mit verschiedenen Theorien können so genauere Aussagen zu Sachverhalten wie die räumliche Verteilung von Bevölkerungsgruppen in einer Stadt und der Verdrängung von Bewohnern durch die Änderung verschiedener Faktoren getätigt werden. Letztendlich können so Prozesse der Stadtentwicklung sichtbar und verständlich gemacht werden.

Ziel der Folge ist es somit einen Überblick über die Entwicklung der Stadt und die Zufriedenheit am Beispiel Leipzig zu geben, mithilfe von unterschiedlichen Fragestellungen. Dabei werden auch unterschiedliche Theorien wie das 4-Phasen Modell der Gentrifizierung, 3 Dimensionen von Segregation oder auch das Konzept der 15-Minuten Stadt verwendet. Zudem wird eine Vielzahl an Forschungsmethoden erläutert, mit denen es möglich war, spannende Daten zu erheben.

Neben dieser Folge gibt es hier noch weitere spannende Folgen, welche sich mit anderen Stadtvierteln in Leipzig beschäftigen, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts untersucht haben.

Entwicklung der Stadt Leipzig

Leipzig hat sich in den vergangenen 30 Jahren stark gewandelt. Kurz nach der Wende bis zum Jahrtausendwechsel erlebte Leipzig eine negative Nettomigration. (Wiest, o. J.) Das heißt: mehr Menschen zogen weg, als nach Leipzig kamen. Die Einwohnerzahl sank von ca. 511.000 im Jahr 1990 auf 437.000 im Jahr 1998 (Brogiato, 2015). Leerstand wurde zu einem Problem. Dennoch investierten viele Immobilienbesitzer, die nicht selten aus den alten Bundesländern kamen (Wiest, o. J.). Beliebt waren besonders die repräsentativen Altbaugebiete wie das Musikerviertel. Die Umkehr der Bevölkerungsbewegung um die Jahrtausendwende verursachte einen starken Druck auf den Immobilienmarkt, was vermutlich eine der Hauptgründe für der Entwicklung der Mietpreise war. Die Einwohnerzahl stieg von 1998 bis 2011 um 18,5% (Brogiato, 2015). Nach 2011 bis 2021 stieg die Einwohnerzahl erneut um 18% Die Grundmiete stieg von 2000 bis 2021 um glatte 36% (s.A.1) Nach 2011 stieg die Grundmiete noch stärker, was vermutlich durch das ebenso stärkere Bevölkerungswachstum hervorgerufen wurde. Seitdem sank auch das Durchschnittsalter, was zuvor bis auf 44 Jahre anstieg (s.A.3).

Abbildung 1: Einwohnerzahl in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis Statistik Leipzig)
Abbildung 1: Gästeankünfte in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis Statistische Landesamt Sachsen)

Neben der Bevölkerungsentwicklung wurde auch die Entwicklung der Grünflächen ein Leipzig betrachtet. Laut der Statistischen Jahresberichte der Stadt Leipzig ist der Anteil von Wald- und Erholungsgebieten seit 2012 von 16,9 auf 18,5 Prozent (2021) der Stadtfläche angestiegen. Dahingehen herrscht aufgrund dieser Entwicklung auch eine große Zufriedenheit, wie auch unsere Befragungen bestätigen.

Die Stadt Leipzig ist bei Touristen sehr beliebt, das Zeigen auch verschiedenste Statistiken ebenso wie Vergleiche deutscher Großstädte. Im Jahr 2019 gab es somit über 2 Millionen Gästeankünfte in der Stadt, die in den folgenden Jahren aufgrund der Covid-19-Pandemie stark reduziert wurden.

Charakter des Stadtteils Zentrum-Nordwest

Das Durchschnittsalter der beiden Stadtteile ist geringer als das von Leipzig. Sie befinden sich in einem relativ jungen Zentrum und sind Teil eines Clusters (Statistik, Leipzig). Das Zentrum ist jung und die Peripherie ist alt. Das ist ein Indiz dafür, dass Altersgruppen im Stadtgebiet segregiert sind. In Zentrum-Nordwest liegt der Anteil der Migranten 2%P unter dem städtischen Durchschnitt (Leipzig:10%). Wohingegen Zentrum-West 4%P abweicht (Statistik, Leipzig). Auch die Ausstattung mit Bildung verteilt sich ungleich im Raum und ist von Interesse. Beide Ortsteile haben überdurchschnittlich viele Bewohner mit Hochschulabschlüssen. (Statistik, Leipzig) Daher sind die Stadtteile nicht charakteristisch für die Stadt. Der Bezirk Mitte ist ein Cluster von gut gebildeten Stadtteilen. Die Befragung ergab, dass Bewohner im Zentrum-West und Nordwest die Teile der Stadt nur „teils/teils“ als Gemeinschaft wahrnehmen.

Abb. 03: Anteil der Bewohner:innen mit Hochschulabschluss (Vergleich Zentrum-West, Zentrum-Nordwest und Stadt Leipzig) (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

Die Funktionskartierung haben wir in 5 Vierteln in Leipzig durchgeführt, welche uns erlaubt ein detailliertes Bild unseres Stadtviertels zu erhalten. So sind in ZW 11% der Betriebe Gastrobetriebe und es gibt keinen einzigen Gesundheitsdienstleister, wohingegen in Zentrum-Nordwest 27% der Dienstleister im Gesundheitssektor tätig sind. Zentrum-Nordwest sind anteilig an den Einzelhändlern die meisten Grund- und Nahversorger zu finden. Wohingegen in Zentrum-West am wenigsten hat. Im Viertel wurde uns mitgeteilt, dass gerade das Fehlen einer Drogerie in der Nähe des Viertels problematisch sei. Ältere Menschen, die auf diese besonders angewiesen wären, werden vor Herausforderungen gestellt. Die Bewohner denken, dass sich der Zustand der Wohngebäude „eher“ verbessert hat. Zentrum-West schneidet von allen Fünf am schlechtesten ab, wobei Zentrum-Nordwest den besten Zustand hat. Der Zustand der Gebäude kann uns Auskunft über die Liquidität und die Investitionsbereitschaft der Vermieter geben.

Die Skala auf der Y-Achse ist unabhängig und repräsentiert die jeweiligen Werte in der Tabelle. Jene Werte basieren auf Funktionskartierungen, die wir an den Hauptstraßen der einzelnen Stadtteile durchgeführt haben. Der Gastronomiepreis wurde anhand der Euro-Zeichen auf Google-Maps bestimmt: 1€->1,…; EH: Einzelhandel; „/“: gibt eine Ratio an.
Abbildung 4: Indizes für Gentrifizierung aus der Funktionskartierung (Vergleich der einzelnen Stadtteile) (Eigene Darstellung auf Basis der Befragung und Funktionskartierung)

Entwicklung des Stadtteils Zentrum-Nordwest

Zentrum-West und Nordwest sind jünger als Gesamt Leipzig, welches seit 2011 jünger wird (s.A.5). Es lässt
sich vermuten, dass sich die Durchschnittsalter angleichen und sich die Segregation verringert. Damit würde
das Clustering der sehr jungen Stadtteile im Zentrum weniger signifikant werden.

Abbildung 5: Entwicklung des Durchschnittsalters im Vergleich von Leipzig, Zentrum Nord und Zentrum-Nordwest (Eigene Darstellung auf Basis von Daten der Stadt Leipzig)

In Leipzig ist der Migrantenanteil seit 2012 von 5% auf 10% angestiegen. In Zentrum-Nordwest liegt der Anteil der Migranten 2% Punkte unter dem städtischen Durchschnitt und ist seit 2011 nur gering angestiegen. Zentrum-West verzeichnete einen Anstieg von 11% auf 14%.

Der Bezirk Mitte ist ein Cluster von gut gebildeten Stadtteilen. Bereits im Jahr 2011 waren Zentrum-Nordwest und Zentrum-West wesentlich besser gebildet, insofern, dass dort mehr Bewohner Hochschulabschlüsse besaßen als im Rest von Leipzig. Der Unterschied hat sich bis 2019 verschärft(s.A.3)

Zentrum-West verzeichnet im Jahr 2021 20% mehr Bewohner, die ein Erwerbseinkommen beziehen und liegt somit mit 78%, 18%P über dem städtischen Durchschnitt. Zentrum-Nordwest liegt ca. 14%P über dem städtischen Durchschnitt und verzeichnete seit 2012 einen Rückgang von ca. 5%. (Statistik, Leipzig) In Leipzig stieg die Grundmiete seit 2012 um 28% an, in Zentrum-West um 45% und in ZNW um 32%. In West stieg es um 60,8% und Zentrum-Nordwest um 56,5% (Leipzig: 50%) . (s.A.6)

Abbildung 6: Grundmiete in Leipzig (Eigene Darstellung auf Basis Statistik Leipzig)

Nach der Encyclopedie des Wohnens ist die Gentrifizierung ein Aufwertungsprozesse durch Investment und Zuzug von wohlhabenden Bewohnern, der auf eine Phase des Desinvestments und Zerfalls folgt (Smith, 1998). Wenn die Arbeitslosenquote sinkt oder das Nettoeinkommen/Anteil der Erwerbseinkommen steigt, viele Zuzüge und Fortzüge zu beobachten sind, und dabei die Mieten steigen, finden wahrscheinlich Verdrängungsprozesse statt.

In Zentrum-West sank die Arbeitslosenquote im Vergleich mit dem Stadtbezirk Mitte weniger stark, gleiches gilt für die Fortzüge. Die Grundmiete ist 1 ½-mal so stark angestiegen wie in ganz Leipzig. Ähnlich steht es um das Nettoeinkommen. Diese Kombination an Indikatoren deutet eindeutig auf Gentrifizierungsprozesse hin.

Im Stadtteil Zentrum-Nordwest lassen sich ähnliche Tendenzen des Nettoeinkommens, der Grundmiete, und der Fortzüge, nicht jedoch der Arbeitslosenquote feststellen. Der Anteil der Erwerbseinkommen ist ebenfalls zurückgegangen. Es fehlen daher klare Anzeichen für Verdrängungsprozesse und wir müssen Gentrifizierung ausschließen. Das Viertel durchlief die letzten Jahre vermutlich eine Aufwertung aus sich selbst heraus, das nennt man auch Incumbent Upgrading.

Versorgung der Bevölkerung im Zentrum-Nordwest

Um zu verstehen, wie das alltägliche Leben im Stadtviertel funktioniert, kann man verschiedene Daseinsgrundfunktionen analysieren. Kategorien hierfür sind zum Beispiel: Wohnen, Arbeiten, Erholung, Ver- und Entsorgung, Bildung und Verkehr. Diese Kategorien sind die Grundbedürfnisse der Menschen und die Befriedigung dieser, führt somit zu einer besseren Lebensqualität. Unsere Analyse der Versorgungsstruktur basiert auf dem Konzept der 15 Minuten Stadt, welche nach der Idee von Professor Carlos Moreno beschreibt, dass die wichtigsten Daseinsgrundfunktionen innerhalb von 15 Minuten mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreicht werden sollten (Innovators Club).

Bei der Versorgungsfunktion fallen als erstes die Unterschiede in den beiden Stadtteilen auf. ZentrumWest charakterisiert sich dadurch, dass 35% aller Betriebe sich der Gastronomie zuordnen lassen können. Zentrum-Nordwest kann dagegen, auch im Vergleich zu anderen Stadtvierteln, besonders mit der Nah- und Grundversorgung punkten, welche 29% des gesamten Einzelhandels im Viertel ausmacht. Hier geben Passanten unserer Befragung durchschnittlich jedoch eine Preissteigerung über die letzten Jahre an, verbunden mit dem Wegfall von kleinen, regionalen Geschäften zur Versorgung. Diese Veränderung wurde ebenfalls als überwiegend schlecht für die Bevölkerung gewertet. Drogerien und Bekleidungsgeschäfte sind in beiden Stadtvierteln nicht bis kaum anzutreffen, sie lassen sich jedoch durch die Nutzung der Straßenbahn schnell in Zentrum-Mitte finden.

Die Straßenbahn und die Busanbindung ermöglichen soziale Teilhabe an der Gemeinschaft und stellen eine gute Verbindung für Jung und Alt dar. Auf 1000 Einwohner kommen 0,54 Haltepunkte und ermöglichen somit auch eine gute Anbindung zu Erholungsmöglichkeiten. Der Leipziger Auenwald, die RedBull Arena oder der große Leipziger Zoo sind hierfür gute Beispiele, wie Bewohner und Touristen ihre Freizeit gestalten können. Kulturelle Angebote fehlen teilweise komplett und die Auswertung der Befragung ergab ein deutliches Defizit in der Erfüllung dieser Funktion. Kulturhistorische Attraktionen finden sich vermehrt im Viertel Mitte und können nur schwer noch innerhalb von 15 Minuten erreicht werden. Da das Konzept die Nutzung des Fahrrads einschließt, wurden die Abstellmöglichkeiten mit Hilfe unserer Kartierung ausgewertet. Verteilt auf 27 Gebäude und freie Flächen, kommen insgesamt nur acht Fahrradabstellmöglichkeiten und die Situation vor Ort zeigt zudem deutlich die Überlastung dieser.

Befragte äußerten uns gegenüber einen Wunsch nach mehr Möglichkeiten zur Verwahrung ihres Fahrrads, bedauerten jedoch gleichzeitig den zunehmenden Wegfall von Parkplätzen für Autos. Des Weiteren waren nur elf von 974 durch uns kartierte Objekte Freiflächen, welche potentielle Orte für Neubauprojekte darstellen könnten, um somit weiteren Wohnraum zu schaffen. Die Funktion des Wohnens hat sich in den vergangenen Jahren zudem stark verändert, was nicht nur durch die Abbildung 1 und 2 verdeutlicht wird, sondern auch die Passanten in der Befragung behaupten. Nicht nur in unseren beiden untersuchten Stadtvierteln, sondern auch in ganz Leipzig steigen die Mieten extrem an, wie die Daten des Informationssystem Leipzig zeigen.

Die Analyse der Daseinsgrundfunktionen verbunden mit dem 15-Minuten Konzept zeigt leichte Defizite auf in der Befriedigung von kulturellen Einrichtungen. Alle weiteren Funktionen wie die Versorgung und das Wohnen können jedoch sehr gut zu Fuß und mit dem Fahrrad erreicht werden, wobei die schlechte Ausstattung von Radwegen in Kauf genommen werden muss, welche einen Risikofaktor darstellen.

Auswirkungen der Veränderungen

Im Durchschnitt gingen im Jahr 2011 88% der Bewohner Leipzigs mindestens 1 mal pro Woche Waren des täglichen Bedarfs in ihrem eigenen Stadtteil einkaufen (o.V., 2011). Die Analyse der Befragungsdaten der fünf Stadtteile ergibt, dass im Jahr 2022 nur 68% der Bewohner ihre Lebensmitteleinkäufe mindestens 1 Mal pro Woche im Stadtviertel einkaufen gehen. Grund hierfür könnte die Eröffnung von Einkaufszentren im unmittelbaren Zentrum sein(bspw. das “Höfe am Brühl“). Diese Erkenntnisse sind erwartungswidrig, da die Bewohner die Anzahl der Lebensmittelgeschäfte in der Jahnallee in den letzten fünf Jahren als konstant eingeschätzt haben. Passend ist allerdings, dass ein Bewohner meinte, dass das Einkaufszentrum viele Bewohnerinnen anzieht und deshalb der lokalen Ökonomie in den einzelnen Stadtteilen entzieht. Damit einhergehend berichteten Experten aus Zentrum-West, dass die lokalen Betriebe die täglichen Bedürfnisse nur mangelhaft befriedigen. Beispielsweise fehlt es an Drogerien, die nur im Zentrum zu finden sind, und somit ältere Menschen, die besonders auf diese angewiesen sind, auf Probleme stoßen. Insbesondere, wenn Bänke auf dem Weg in die Stadt fehlen, müssen jene auf den ÖPNV zurückgreifen, was die Erholungs- und Gesundheitsfunktion eines Spazierganges zu Nichte macht.

Vor diesem Hintergrund ist die hohe Anzahl von Gastronomiebetriebe in Zentrum West interessant. Die zahlreichen Imbisse in der Jahnallee(s.A.4) die hauptsächlich ausländische Gerichte anbieten, erfüllen mehrere Funktionen. Die angestellten Mitarbeiter werden auf Dauer beschäftigt und erfüllen somit eine Beschäftigungsfunktion (Henn, 2020). Deren Einkommen werden vermutlich vielfach wieder im Viertel ausgegeben und somit kann eine Kreislaufähnliche Quartiersökonomie entstehen, die auf Dauer zu einer lokalen Aufwertung führt (Henn, 2020). Gastronomiebetriebe sind Stätte der Begegnung, zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen oder aus verschiedenen Stadtteilen. Es sind Orte für Gespräche und den Austausch von Kultur. Sie leisten also Integrationsarbeit und wirken der sie hervorrufenden Segregation entgegen. Das ist in der Jahnallee von großer Bedeutung, da die Befragung ergab, dass Bewohner im Zentrum-West und Nordwest die Teile der Stadt nur „teils/teils“ als Gemeinschaft wahrnehmen. Jedoch gaben sie ebenfalls an, sich einen dauerhaften Wohnplatz im Viertel vorstellen zu können.

Die angesprochenen Gastronomiebetriebe sind zwar in hohem Maße vertreten, weisen aber besonders in den vergangenen Jahren eine deutliche Erhöhung der dortigen Preise auf, welches durch die Bevölkerung negativ wahrgenommen wird. Befragte kritisierten die angestiegenen Kosten stark und haben die Sorge, Restaurantbesuche nicht mehr tätigen zu können, was zu einer Einschränkung der sozialen Teilhabe führt. Dieser Trend ist nicht nur in unseren beiden Stadtvierteln zu finden, sondern bezieht sich auf auf ganz Leipzig. Die positive Entwicklung der Grünflächen über die letzten Jahre spiegelt sich auch in der Meinung der von uns befragten Passanten wider. Die Mehrheit war mit dem Angebot und dem Zustand der Grünflächen zufrieden.

Zusammenführung und Fazit

Die Ungleichverteilung von sozial benachteiligten Gruppen kann Auswirkungen auf die lokale Ökonomie haben. Die Ausgrenzung von jenen Gruppen aus dem Arbeitsmarkt kann bedeutet, dass erwerbstätige Vorbilder fehlen (Schultz,2017). Kinder lernen deshalb nicht, dass Erwerbstätigkeit ein sinnvoller Lebensinhalt sein kann. Das hat negative Auswirkungen auf die lokale Ökonomie. Andererseits können bspw. ethnische Gastronomie und ethnische Ökonomien, Migranten in Ankommensvierteln unterstützen sind sehr wichtig. Dort können Migranten Jobs finden, zu denen sie im einheimischen Arbeitsmarkt auf Grund von Diskriminierung sonst keinen Zugang hätten, dies verleiht notwendige Unabhängigkeit (Henn, 2020).

Segregation beeinflusst die Gentrifizierung. Segregationsprozesse sind eine Grundlage für Gentrifizierung. Segregierte Viertel, in denen sozial benachteiligte Gruppen, wie Migranten, ältere Menschen oder Menschen mit niedrigerem Bildungsstatus, leben und damit die Einkommen tendenziell niedriger sind, haben auch geringere Mieten. Zentrum West liegt Zentrumsnah mit sehr guter Anbindung an den Rest der Stadt, die Mieten sind geringer als der Durchschnitt. Und die Arbeitslosenquote fällt geringer aus als die der angrenzenden Stadtgebiete in Mitte. Der Knackpunkt ist, dass die Mieten niedriger sind und die Menschen weniger Kaufkraft besitzen. Investments in Immobilien machen dort am meisten Sinn, wo die “rent gap” am größten ist, denn die Immobilien haben die größte Möglichkeit neue Profite zu generieren.

In Zentrum-Nordwest liegt das Musikerviertel. Das ist eines der repräsentativen Altbaugebiete. Im Jahr 2001 meint die Soziologin Karin Wiest, dass es scheint, als sei für die „citynahen repräsentativen Altbaugebiete“ eine Gentrifizierung unausweichlich (Wiest, o. J.). Der hohe Anteil an Menschen mit Hochschulabschlüssen, Die fortgeschrittene Gentrifizierung im Zentrum-West kann man dadurch erklären, dass Menschen in ihrem Leben auf der Suche nach Authentizität sind. Sie suchen das was anders, alternativ und besonders ist. Altbaugebäude sind genau das. Sie haben einen alten Charme und eine einmalige Ästhetik. Vereint man die mit Luxusrenovierungen, dann trifft Alt auf Modern und es entsteht etwas neues und authentisches(Eckardt, 2018).Die Architektur im Musikerviertel war eine der Voraussetzungen, die die Gentrifizierung in Zentrum-Nordwest überhaupt erst möglich gemacht hat. Wenn dieser Prozess erst einmal begonnen hat, dann kann die Gentrifizierung auch Segregation verursachen.

Denn Verdrängung von Menschen aus ihren alten Wohnungen setzt sie dem Wohnungsmarkt aus. Dann können Vermieter Macht ausüben, denn sie sitzen am längeren Hebel. Vermieter tendieren dazu Einheimische Mieter gegenüber Ausländischen vorzuziehen, was der zentrale Funktionsmechanismus von ethnischer Segregation ist (Dill & Tirjahn, 2014). Werden sie aus dem Zentrum verdrängt, müssen sie Wohl oder Übel an den Stadtrand ziehen.

Besonders die Tourismus-Branche wurde von der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt. Daraus resultieren Einschnitte, die auch von den Statistiken bestätigt werden. Vor der Pandemie gab es jährlich bis zu 2 Millionen Gästeankünfte (2019), letztes Jahr hingegen waren es nur noch bis zu einer Million. Der Einfluss des Tourismus im Viertel war für uns eher weniger erkenntlich, da hauptsächlich Bewohner befragt wurden. Deren Meinung dem Tourismus gegenüber war unserer Erfahrung nach eher unentschlossen beziehungsweise nicht festgelegt. Dennoch bleibt anzumerken, dass die generelle Stimmung durchaus positiv war.

Diese Entwicklungen der letzten Jahre zeigen schlussendlich, dass die Leipziger durchaus zufrieden sind mit der gegebenen Situation und Lebensqualität. Viele der Befragte haben mit uns trotzdem über vorhandene Probleme und Sorgen geredet, beispielsweise die Mietpreiserhöhungen und Preissteigerung der lokalen Gastronomiebetriebe. Die gestiegenen Preise, besonders durch Covid-19 und die Inflation begründet, können zu einer Abnahme der realen Kaufkraft führen. Dienstleistungen oder Produkte können damit weniger/seltener nachgefragt werden, was sich negativ auf die Zufriedenheit auswirkt.

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