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Verändern neue Arbeitsweisen „die“ Wirtschaft?

In dieser Folge von SpacEconomics diskutiert Björn Braunschweig mit Sinje Grenzdörffer von der Universität Kiel über die Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Wirtschaft. Dabei geht es unter anderem darum,

  • wie Arbeit und Arbeitsweisen mit sozialer und ökologischer Transformation zusammenhängen,
  • was man unter „TAUs“ oder „worker-led companies“ versteht,
  • welchen Herausforderungen sich transformationswillige Unternehmen gegenüber sehen,
  • was kreative und vielfältige Lösungsansätze für diese Herausforderungen sein können und
  • wieso schon die Reflektion der eigenen Arbeitsweise der erste Schritt zu sozialökologischer Transformation ist.

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The Longer Read

Sinje Grenzdörffer ist Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und forscht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Rahmen ihrer Promotion zu den Wechselwirkungen zwischen Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein besonders Augenmerk ihrer Forschung liegt auf sozialökologischen Transformationsprozesse.

„Ich habe mich schon im Laufe des Studiums viel mit Nachhaltigkeit und der Ausbeutung von Ressourcen beschäftigt. Mir fiel auf, dass auch menschliche Ressourcen ausgebeutet werden. Ich fragte mich: Könnte eine Veränderung der Arbeit das Wirtschaften ändern?“
-Sinje Grenzdörffer

Ein Grundgedanke der Transformationsforschung lieferte den Ausgangspunk ihrer Überlegungen: Struktureller Wandel ist notwendig, um sozial und ökologisch gerechter zu wirtschaften und zunehmenden sozioökonomischen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken.

Dabei geht Sinje Grenzdörffer davon aus, dass ArbeiterInnen eine Agency haben, also Entscheidungen treffen können und ihr Handeln nicht ohne Folgen bleibt. Damit bezieht sie sich auf Herod, der in der labour geography ArbeiterInnen als räumliche AkteurInnen in den Vordergrund stellte. Zuvor wurde Arbeitskraft in der Wirtschaftsgeographie vor allem als Ressource verstanden, welche auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird. Im Fokus der Betrachtungen lagen dann die Flüsse dieser Ware, Menschen waren damit TrägerInnen der Ressource, aber keine eigenständigen AkteurInnen. Herod hingegen verstand Menschen als in wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen eingebettete, handlungswirksame Wesen, die durch ihre Entscheidungen ihre Umgebung prägen und verändern können.

„Bei der Agency von ArbeiterInnen spielt die Einbettung in gegebene Strukturen eine wichtige Rolle. Soziale und kulturelle Hintergründe beeinflussen etwa das Bewusstsein für die eigene Handlungswirksamkeit. Und ein Angestelltenverhältnis ist erstmal eine Grenze dieser Handlungswirksamkeit. Für mich ist interessant: Wie kann diese Grenze aufgebrochen werden?“
– Sinje Grenzdörffer

Aus diesem Grund widmet sich Sinje Grenzdörffer in ihrer Forschung Unternehmen, die von ArbeiterInnen geführt werden, sogenannte Transformativ arbeitende Unternehmen (TAUs) oder im Englischen worker-led companies. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Kernentscheidungen demokratisch mit allen ArbeiterInnen getroffen werden. Oft besteht auch eine kollektive finanzielle Anteilschaft am Unternehmen. Dies ist in Deutschland aufgrund der hiesigen Rechtsprechung im Gegensatz zu Südamerika oder Südeuropa, wo es besonders viele TAUs gibt, eher selten. Gerade die großen rechtlichen Hürden machen deutsche worker-led companies besonders interessant für Sinje Grenzdörffer: TAUs entstehen in Südamerika und Südeuropa oft aus Krisensituationen, wie z.B. der Finanzkrise 2008. Von dieser waren deutsche Unternehmen jedoch deutlich weniger stark betroffen. Was ist also die Motivation für Unternehmen und ArbeiterInnen, die enormen rechtlichen Hürden auf dem Weg zu worker-led companies überwinden zu wollen? Wie nutzen die ArbeiterInnen ihren Einfluss auf Kernentscheidungen? Und inwiefern entspricht dies den Prinzipien der sozialökologischen Transformation?

„Ich bin immer wieder überrascht und beeindruckt, wie breit TAUs über verschiedene Branchen gestreut sind, wie vielfältig die Unternehmen sind und wie kreativ die Lösungen sind, die für Probleme gefunden werden“
– Sinje Grenzdörffer

Die meisten TAUs sind kleine und mittelständige Unternehmen (KMUs). Dabei fallen drei Typen von TAUs auf: Häufig sind es familiengeleitete Handwerksbetriebe, die ihr Unternehmen umstrukturieren. Oft schließen sich aber auch Soloselbständige zusammen, um sich in einem kollektiven Rahmen gegenseitig zu unterstützen. In diesem Fall ist in der Regel Pragmatismus der Initiator für die Suche nach alternativen Unternehmensstrukturen. Durch die Auseinandersetzung mit Arbeit und Arbeitsweise setzt dann aber oft auch ein Reflektionsprozess über die gesellschaftlichen Dimensionen von Arbeit ein und es entsteht ein stärkeres Bewusstsein für die eigene Handlungswirksamkeit. Dieses ist bei werteorientierten Unternehmen bereits stark ausgeprägt. Die Unternehmenswerte beinhalten meist schon eine Kritik am bestehenden Arbeits- und Wirtschaftssystem sowie ein Bewusstsein über das soziale Wirken und den ökologischen Einfluss, den das eigene Arbeiten mit sich bringt. Auffällig ist, dass TAUs viel Wert auf Transparenz legen und das sowohl nach innen als auch nach außen. Dies senkt das Konkurrenzverhalten und ermöglicht eine offenere Zusammenarbeit sowie ein intensiveres Netzwerken untereinander, sodass Wissen und Erfahrungen ausgetauscht werden können.

„Meine Forschung zeigt: In TAUs entstehen Möglichkeitsräume und Handlungsspielräume, die bisher unterschätzt und institutionell wenig unterstützt werden. Dadurch geht sehr viel Potential verloren. Eine Erweiterung unseres Verständnisses von Arbeit wäre ein großer Schritt in Richtung sozialökologische Transformation.“
Sinje Grenzdörffer

Zusammenfassung der Folge als Long Read von Clara Aevermann

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Publikationen zur Folge

Links zur Folge

Von Sinje Grenzdörffer zum Thema empfohlen

  • Feola, G. (2015) Societal transformation in response to global environmental change: A review of emerging concepts. Ambio, 44(5), 376– 390.
  • Göpel, M. (2016) The great mindshift: How a new economic paradigm and sustainability transformations go hand in hand. Springer
  • Hastings, T. (2016) Moral matters: De-Romanticising worker agency and charting future directions for labour geography. Geography Compass, 10(7), 307– 318.
  • Herod, A. (1997). From a geography of labor to a labor geography: Labor’s spatial fix and the Geography of capitalism. Antipode, 29(1), 1– 31.
  • Lange, B., Hülz, M., Schmid, B., & Schulz, C. (2021). Post-Growth Geographies: Spatial Relations of Diverse and Alternative Economies (p. 430). transcript Verlag
  • Peck, J. (2018) Pluralizing labour geography, in G. L. Clark, M. P. Feldman, M. S. Gertler and D. Wójcik (eds), The New Oxford Handbook of Economic Geography, Oxford, UK: Oxford University Press, pp. 465– 484
  • Safri, M. (2020) Worker cooperatives, in J.K. Gibson-Graham and K. Dombroski (eds) The Handbook of Diverse Economies. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing, pp.40-47
  • Wright, E. O. (2013) Transforming capitalism through real utopias. American Sociological Review, 78, 1– 25.

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