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GLOBUS #02 | Erfolgreiche Reorganisation dank Mitbestimmung


In der zweiten Folge der SpacEconomics-Reihe zum Projekt GLOBUS „Globale Reorganisation von Forschung und Entwicklung – das Beispiel der Pharmaindustrie und Medizintechnikbranche am Standort Deutschland“ spricht Björn Braunschweig mit Dr. Norbert Malanowski von der VDI Technologiezentrum GmbH über die Ergebnisse des Projekts. 

  • was genau Besonderheiten der Medizintechnikbranche sind,
  • was sie von der Pharmazeutischen Industrie unterscheidet,
  • was man unter der Sozial- oder Konfliktpartnerschaft versteht,
  • wie sich Mitbestimmungsmöglichkeiten für ArbeitnehmerInnen verbessern lassen und
  • welche Rolle dabei internationale Innovationsnetzwerke spielen.

Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und wurde vom 01.01.2020 bis zum 30.04.2023 unter der Leitung der VDI Technologiezentrum GmbH und dem Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Zusammenarbeit mit Dr. Pauline Mattsson von der Lund University und Prof. Dr. David A. Wolfe von der University of Toronto durchgeführt. 

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Dr. Norbert Malanowski ist als Senior-Technologieberater und Projektleiter in der VDI Technologiezentrum GmbH seit 1999 vor allem in den Bereichen Innovations- und Arbeitspolitik, Vorausschau, Technikfolgenabschätzung sowie Transformation von Wirtschaft, Arbeit und globalen Wertschöpfungsketten tätig. Von 2005 bis 2007 hat er für die Europäische Kommission in Sevilla als Senior Scientific Fellow gearbeitet. Ergebnisse seiner Arbeit finden sich u. a. in „Technologiefelder der Zukunft“ in: „Perspektiven eines Industriemodells der Zukunft“ (2021, Metropolis-Verlag, Marburg) und „Digitalisierung in der chemischen Industrie“ in: „Grand Challenges meistern – der Beitrag der Technikfolgenabschätzung“ (2018, Edition Sigma, Berlin). Zudem war Norbert Malanowski von 2009 bis 2020 als Gastdozent im Bereich Innovations- und Arbeitspolitik sowie Arbeitswelten der Zukunft an der Universität Witten/Herdecke aktiv. Seit 2021 ist er als ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Duisburg tätig. Vor seinem Studium der Politikwissenschaft / Politischen Ökonomie an den Universitäten Duisburg und Toronto hat er als Werkzeugmacher gearbeitet.

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Im Projekt GLOBUS, das aus einem Team aus Forschenden der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der VDI-Technologiezentrum GmbH besteht, geht es wiederum um die globale Reorganisation der Pharmazeutischen Industrie und der Medizintechnikbranche. Dabei wurden insbesondere die Verlagerungen von Forschung und Entwicklung deutscher Großunternehmen ins Ausland und die damit einhergehenden Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnen unter die Lupe genommen.

Grundlegend unterschieden werden können Medizintechnikbranche und Pharmazeutische Industrie zudem bezüglich ihrer Produktionsformen. Die Medizintechnik auf der einen Seite ist Teil der Fertigungsindustrie, was naheliegenderweise bedeutet, dass es hier um die industrielle Fertigung von Stückgütern geht. Diese haben eine enorme Bandbreite an Anwendungsbereichen und umfassen fast alles von künstlichen Gelenken über Blutdruck- und Beatmungsgeräten bis hin zu FFP2-Masken. Ähnlich wie auch in der Automobilindustrie werden also verschiedenste Vorprodukte zu Endprodukten zusammengesetzt. Die Pharmazeutische Industrie auf der anderen Seite ist Teil der Prozessindustrie. Hier stehen unter anderem die Entwicklung, Wirkung und Herstellung von Arzneimitteln im Vordergrund, was durch die chemische oder biologische Weiterverarbeitung von Stoffen erreicht wird. Als Konsequenz dieser unterschiedlichen Produktionsansätze organisieren sich ArbeitnehmerInnen der Branchen auch in unterschiedlichen Gewerkschaften. Während die Medizintechnik Teil der IG Metall ist, gehört die Pharmazeutische Industrie aufgrund ihrer Nähe zur Chemie zur IGBCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie).

„In meinem Kopf waren Medizintechnik und Pharmazeutische Industrie immer sehr nah beieinander. Beide sind auch wahnsinnig innovationsorientiert. Während der Analysen ist dann für mich aber doch recht schnell klar geworden, dass beide Branchen in Forschung und Entwicklung zum Teil nach vollkommen anderen Regeln und Kriterien funktionieren.“

Björn Braunschweig

Schnittmengen gibt es beispielsweise im Bereich der Unternehmensaufstellung. Besonders in den letzten Jahren war vermehrt zu beobachten, dass die jeweils andere Branche im Rahmen von Zukäufen in das eigene Unternehmen integriert wurde. So hatten dann viele Medizintechnikunternehmen auch eine pharmazeutische Sparte und andersherum. Darüber hinaus eint beide Industriezweige der starke Fokus auf Innovationsprozesse, wobei der diesbezügliche Umgang wieder sehr unterschiedlich ausfällt. Im Zentrum steht dabei der mögliche Verlust von Wissen, welcher in der Medizintechnik viel stärker ausgeprägt zu seien scheint und sich ebenfalls auf die Unternehmenskonfiguration auswirkt. Dementsprechend werden Forschungstätigkeiten möglichst unter zentraler Kontrolle in Deutschland gehalten und auch die Zusammenarbeit mit Externen wird stark kontrolliert. Ganz anders sieht das in der Pharmazeutischen Industrie aus, wo eine intensive und offene Zusammenarbeit mit externen Organisationen und generell dezentrale Kontrolle praktiziert wird. Der Umgang mit Wissensverlusten bestimmt also ein Stück weit mit, wo ein Unternehmen welche Tätigkeiten wahrnimmt. Das führt gerade bei großen, international agierenden Unternehmen zu Veränderungen, also einer Reorganisation der Strukturen, die am Ende ja auch das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Management und ArbeitnehmerInnen beeinflussen.

„Aus unserer Sicht ist es heute bei dem Thema Sozial- bzw. Konfliktpartnerschaft sehr wichtig, dass diese sich mit Anpassungen stabilisieren und zukunftsfähig gestalten lässt. Denn es gibt neben gemeinsamen, eben auch ganz unterschiedliche Interessen.“

Norbert Malanowski

Mit den Begriffen Sozialpartnerschaft und Konfliktpartnerschaft wird dabei das kooperative Verhältnis zwischen den AkteurInnen von Kapital und Arbeit beschrieben. Auf betrieblicher Ebene handelt es sich bei jenen AkteurInnen um das Management auf der einen und den Beschäftigten auf der anderen Seite, wohingegen sich auf Verbandsebene Arbeitgeber- bzw. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gegenüberstehen. Beide Begriffe beschreiben dieselben Akteurskonstellationen, wobei deren Verhältnisse unter der Konfliktpartnerschaft kritischer betrachtet werden bzw. neben Kooperationen eben auch Interessenunterschiede und Konflikte im Vordergrund stehen. Da speziell Forschung und Entwicklung immer digitaler und globaler werden, kommt es hier zwangsläufig zu Herausforderungen. Während Sprachbarrieren oder Sprache allgemein aufgrund des guten Bildungsstandes der Beschäftigten seltener zu Problemen führen und Themen wie Diskussionskultur unternehmensintern mit Seminarangeboten zu interkultureller Kommunikation behandelt werden, unterscheiden sich Unternehmenskulturen in Deutschland und an ausländischen Standorten dennoch ganz beträchtlich. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Sozialpartnerschaft als Konzept nur in Deutschland und einigen wenigen anderen europäischen Staaten existiert, wohingegen in Ländern wie den USA oder China der gesetzliche Rahmen dafür fehlt. Das bedeutet, dass es an jenen Standorten weder Interessenvertretungen der Beschäftigten, noch (in-)formelle Kooperationen zwischen den AkteuerInnen gibt. Da international agierende Unternehmen und folglich gerade auch deren Beschäftigte also an unterschiedlichen Standorten mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu tun haben, wurden von Norbert Malanowski, Prof. Sebastian Henn und Simon Beesch eine Reihe an Handlungsmöglichkeiten formuliert, aufgrund derer sich die Verhältnisse „stabiler und zukunftsfähig“ gestalten lassen.

„Die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen haben wenig Möglichkeiten zur formalen Partizipation, was wir Mitbestimmung nennen. Insgesamt bestehen aber durchaus Möglichkeiten zur Mitgestaltung und eine erste Handlungsmöglichkeit nenn sich: Wirtschaftsdemokratie.“

Norbert Malanowski

Die Idee hinter der Wirtschaftsdemokratie ist dabei, dass sich die Ordnungs- und Prozesspolitik der Wirtschaft für eine Beteiligung und Mitbestimmung seitens der ArbeitnehmerInnen und deren Interessenvertretungen öffnet. Dieses Vorgehen würde nicht nur ein Mitspracherecht bei Verlagerungsprozessen ermöglichen, sondern eben auch zu einer Reduzierung von Einschränkungen in der Sozial- bzw. Konfliktpartnerschaft führen. Letztlich fehlen für so ein Vorhaben aktuell jedoch die politischen Mehrheiten, weswegen seine Realisierung sowohl in Deutschland als auch in anderen Teilen der Welt wohl eher zu einem Langzeitziel werden. Auch aus diesem Grund dreht sich eine zweite Handlungsmöglichkeit um das deutsche Mitbestimmungsrecht von 2015 bzw. einer Umgestaltung desselben. Das damit einhergehende Gesetz sieht nämlich vor, dass die ArbeitnehmerInnenvertretungen bei wichtigen Fragen der Unternehmensplanung und -politik in den Aufsichtsräten aktiv werden und mitbestimmen dürfen. Diese Möglichkeiten werden allerdings vor dem Hintergrund internationaler Reorganisationen, wie sie eben auch in Forschung und Entwicklung zu finden sind, durch fehlende gesetzliche Rahmen an anderen Standorten untergraben. Die Reformierung der Mitbestimmungsgesetze ist jedoch auch Teil des Koalitionsvertrages der derzeitigen Bundesregierung, weswegen die Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode möglich und somit als unmittelbares Ziel beschrieben werden kann. Eine dritte Handlungsmöglichkeit zielt darüber hinaus darauf ab, dass das aktuelle Betriebsverfassungsgesetz in Verbindung mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz stärker genutzt werden kann. Diese Anpassung würde den Betriebsräten als institutionalisierten ArbeitnehmerInnenvertretungen die Inanspruchnahme von Beratung über externe Beteiligte ermöglichen. Und so zeigt sich, dass unter den derzeitigen Umständen zwar schon erste Schritte in Richtung einer umfangreicheren Mitbestimmung möglich sind, eine ausreichende Modernisierung aus Sicht der Beschäftigten jedoch noch aussteht.

„Gegenwärtig befinden sich viele Industriezweige in einer sozial-ökologischen, einer digitalen Transformation. Und es ist wichtig, dass diese Transformation mitgestaltet wird und dass es letzten Endes eine gerechte Wirtschafts- und Arbeitswelt gibt.“

Norbert Malanowski

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