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Raumkonzepte – Grundlage für (wirtschafts-) geographisches Denken?

Mit dieser Folge beginnt ein neues Format bei SpacEconomics: Die TheorieSnippets. In diesem Format wird wirtschaftsgeographisches Fach- und Hintergrundwissen von StudentInnen für StudentInnen aufbereitet – für weitere spannende Einblicke in unsere Fachdisziplin!

In dieser ersten Theorie-Snippets-Folge wird ein Blick auf eines der absoluten Grundlagenthemen der (Wirtschafts-) Geographie geworfen: Verschiedene Raumkonzepte. Dabei geht es unter anderem darum…

  • welche unterschiedlichen Raumkonzepte die Geographie im Allgemeinen und die Wirtschaftsgeographie im speziellen geprägt haben
  • welchen Einfluss das Raumverständnis auf die Forschungsfragen der Disziplin hat
  • wie sich das Raumverständnis durch Veränderungen in der Gesellschaft transformiert
  • weshalb eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Raumkonzepten für das eigene Verständnis von Raum und die Arbeit in der Wirtschaftsgeographie wichtig ist

Schreibt uns für Fragen, Kommentare und Anregungen gern an:

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Raum ist ein Begriff, der im Alltag ganz selbstverständlich verwendet wird. Eine einheitliche Definition für die Arbeit an wirtschaftsgeographischen Fragestellungen zu formulieren, ist allerdings kaum möglich. Raumkonzepte und ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen mit Raumbezug haben sich im Laufe der Disziplingeschichte verändert und stehen auch heute noch unter dem Einfluss sowohl gesellschaftlicher Transformationen als auch disziplininternen Diskurse.

Ute Wardenga arbeitete 2002 in ihrem Artikel „Alte und neue Raumkonzepte für den Geographieunterricht“ vier zentralen Raumkonzepten heraus, die eine gute Orientierung über die Entwicklungen der Raumkonzepte in der Disziplin liefern:

  • Räume als Container: Im von der französischen Revolution und der Industrialisierung geprägten 19. Jhd.  veränderte sich die Gesellschaft stark und stand vor großen Herausforderungen. Räume wurden in dieser Zeit als Entitäten gesehen, als natürliche Einheiten, in die die Umwelt unterteilbar ist. Die Geographie hatte derweil Schwierigkeiten, sich als eigenständige wissenschaftliche Hochschuldisziplin zu etablieren und ein klar von anderen Disziplinen abgrenzbares Forschungsinteresse zu formulieren. Die Aufgabe der Geographie bestand vor allem darin, die Container-Räume voneinander abzugrenzen, idiographisch zu beschreiben und zu klassifizieren (vgl. Wardenga 2002: 9). Dieses länderkundliche Schema reduzierte nicht nur die Komplexität des geographischen Wissens. Es kam auch dem von räumlichen Schemata geprägten zeitgenössischen Denken entgegen, das sich beispielsweise in einem erstarkenden Bewusstsein für Nationalstaaten zeigte (vgl. ebd. 8 f.)
  • Räume als Systeme von Lagebeziehungen: Ab den 1960ern wurde der länderkundliche Ansatz vor allem von Studierenden als zu deskriptiv, wenig reflexiv und daher wenig erkenntnisreich kritisiert. (vgl. Wardenga 2002: 9). Die Unterteilung der Wirklichkeit in einzelne Räume wurde nicht mehr als naturgegeben, sondern als Konstrukt der Wissenschaft angesehen (vgl. Wardenga 2002:10). Für die Geographie und insbesondere auch die Wirtschaftsgeographie wandelte sich durch das Übernehmen von Theorien und Ansätzen aus Nachbardisziplinen der Schwerpunkt auf die Betrachtung von Standorten, Lagebeziehungen und Distanzen sowie auf die Frage, was die beobachteten Tatsachen für die gesellschaftliche Wirklichkeit bedeuten. (vgl. ebd.)
  • Räume als Kategorien der Sinneswahrnehmung: Räume wurden nicht mehr als gegeben angenommen, sondern als individuelles Ergebnis der Einordnung der Wahrnehmungen in räumliche Begriffe.  Dabei waren der Raum, die Gesellschaft und die Wirklichkeit keine wahrnehmungsunabhängigen Konstanten mehr, sondern konnten für jedes Individuum, jede Gruppe oder Institution unterschiedlich sein (vgl. ebd.).
  • Räume als Elemente von Kommunikation und Handlung (Konstruktivistischer Ansatz): Räume werden gemacht, sie werden von den Menschen durch ihre Handlungen konstruiert (vgl. ebd). Eine zentrale Frage für die Geographie ist hier, welche Arten von Räumen durch welche Arten von Handlungen und Kommunikation entstehen. Es geht nun weniger darum, die beobachteten Räume zu beschreiben, als ihre Entstehung zu verstehen. Dabei wird die Funktion einer raumbezogenen Sprache in der Gesellschaft zu einem Leitthema. Es wird versucht herauszufinden, wie und weshalb von bestimmten Akteuren über bestimmte Räume kommuniziert wird und wie Sprache Räume produziert und reproduziert (ebd. 10 f.).
Raumkonzepte nach Ute Wardenga. Eigene Darstellung

Um die Wirkung dieser verschiedenen Raumkonzepte auf die Wirtschaftsgeographie aufzuzeigen, lohnt sich ein Blick auf drei wesentliche Forschungsdesigns der Wirtschaftsgeographie, die Barthelt und Glückler in ihrem Lehrbuch thematisieren: Die Länderkunde, die Raumwirtschaftslehre und die relationale Wirtschaftsgeographie:

  1. In der Länderkunde des beginnen 20. Jhd. werden Räume als natürliche Einheiten betrachtet. In diesem Raumverständnis hat die Wirtschaftsgeographie wirtschaftliche Tätigkeiten in verschiedenen Räumen als Forschungsgegenstand, mit dem Ziel, idiographische Beschreibungen und Klassifikationen zu verfassen. Es geht darum, die Raumeinheiten, also zumeist einzelne Länder oder Ländergruppen, ganzheitlich zu verstehen (vgl. Barthelt und Glückler 2012: 45).  
  2. In der Raumwirtschaftslehre hingegen sind Räume einerseits Objekt, andererseits aber auch Kausalfaktor für menschliches Handeln. Innerhalb dieses Verständnisses stellt sich für die Wirtschaftsgeographie die Frage, wie sich Handlungen räumlich manifestieren. Das Handlungskonzept ist dabei atomistisch. Betrachtet wird also individuelles Handeln einzelner Personen oder Wirtschaftsakteure, und es wird versucht, daraus Raumgesetze abzuleiten (vgl. ebd.)
  3. Die relationale Wirtschaftsgeographie wiederum betrachtet Phänomene aus räumlicher Perspektive, der Raum selbst ist nicht mehr der primäre Forschungsgegenstand. Vielmehr wird versucht, ökonomische Handlungen relational zu betrachten. Es wird davon ausgegangen, dass Handlungen untereinander vernetzt und in einen Gesamtkontext eingebettet sind. Außerdem ist das gegenwärtige Handlungskonzept nicht bloß gegeben, sondern gemäß der Pfadabhängigkeit bedingt von Entscheidungen der Vergangenheit. Es ist aber möglich, in konkreten Handlungskontexten vom scheinbar vorherbestimmten Verlauf kontingent abzuweichen. Im Vordergrund wirtschaftsgeographischer Betrachtungen steht daher nicht die Struktur im Sinne einer räumlichen Wirtschaft, sondern es wird gefragt, wie sich Strukturen in Folge von Handlungen herausbilden, wie soziales Handeln in wirtschaftliche Strukturen eingebunden ist und wie sich ökonomisches Handeln räumlich manifestiert (vgl. ebd. 44 f.)

Raumkonzepte beeinflussen maßgeblich das Denken. Je nach Raumkonzept ergeben sich daher auch ganz unterschiedliche Fragestellungen und Herangehensweisen an Forschung. Eine Auseinandersetzung mit Raum und Raumkonzepten ist daher für die Geographie im Allgemeinen und für die Wirtschaftsgeographie im Speziellen wichtig und lohnenswert – um bestehendes geographisches Wissen besser verstehen, einordnen und reflektieren zu können, um den eigenen Blick zu schärfen und um verschiedene Perspektiven auf die Disziplin und ihre Themen zulassen zu können.

Fragen, Kommentare, Anregungen und Themenwünsche gern unten in die Kommentarbox schreiben.

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Literatur

Barthelt, Harald; Glückler, Johannes (2012): Wirtschaftsgeographie – Ökonomische Beziehungen in   räumlicher Perspektive. Stuttgart UTB.

Knabe, Judith (2019): Wohnen und Wohnungspolitik als sozialraumbezogenes Handlungsfeld.
In: Kessel, F., Reutlinger, C. (Hrsg.) 2019: Handbuch Sozialraum, Sozialraumforschung und  Sozialraumarbeit. Springer VS. S. 635 – 658.

Wardenga, Ute (2002): Alte und neue Raumkonzepte für den Geographieunterricht.
In: Geographie   heute 200/2002. S. 8-11.

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