Zum Inhalt springen

Grenzenlose Produktion unter die Lupe genommen | GVC und GCC

Diese Folge der TheorieSnippets von SpacEconomics bildet den Auftakt zu einer ganz neuen Reihe in diesem Format. Theodor Langer geht dabei in der Einstiegsfolge darauf ein,

  • was die Globalisierung mit der Entstehung von Wertschöpfungsketten zu tun hat,
  • weshalb Produkt- und Wertschöpfung meist getrennt voneinander stattfinden,
  • was sich hinter den Global Commodity Chains verbirgt,
  • wie der Ansatz zu Global Value Chains weiterentwickelt wurde,
  • was mit wirtschaftlichem Upgrading gemeint ist und ob das auch funktioniert

Schreibt uns für Fragen, Kommentare und Anregungen gern an:

Instagram Twitter Homepage


The Longer Read

Im Kern widmet sich die Reihe globalen Produktionsweisen, ihren Auswirkungen und verschiedenen theoretischen Ansätzen, die dabei helfen, die Prozesse und Dynamiken dahinter zu verstehen. Der Reihentitel „Grenzenlos Produzieren“ deutet dabei schon auf ein wesentliches Merkmal hin, das sich wie ein roter Faden durch die Folgen ziehen wird. Denn wir haben es innerhalb der notwendigen Produktionsstrukturen mit einer enormen Verstreuung, auch Fragmentierung genannt, über Landes- und Kontinentalgrenzen hinweg zu tun. Das offenbart im Alltag nicht zuletzt ein genauerer Blick auf unsere Konsumgüter, von denen die meisten tausende Kilometer zurückgelegt haben, bis sie von uns benutzt oder verbraucht werden.

„Die Verteilung der Arbeitsschritte auf unterschiedliche Länder wurde jedoch erst dadurch profitabel, dass komparative Kostenvorteile, z.B. aufgrund von Lohnunterschieden bei bestimmten Tätigkeiten, zwischen den teilnehmenden Ländern einer Wertschöpfungskette bestehen.“

Doch wie kam es überhaupt zu diesen Dynamiken? Verantwortlich dafür sind viele verschiedene Prozesse, die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten ablaufen und unter dem Phänomen der Globalisierung zusammengefasst werden können. Dazu gehören unter anderem stetig effizientere Transport- und Kommunikationstechnologien, Freihandelsabkommen oder ausländische Direktinvestitionen in verschiedene Teile der Welt. Aber auch Machtverhältnisse, die auf den europäischen Imperialismus und Kolonialismus zurückgehen, beeinflussen noch immer die Produktionsverflechtungen. Letztlich waren es dann vorwiegend einflussreiche transnational agierende Unternehmen, auch als lead firms bezeichnet, die spezifische Standortvorteile und eine sogenannte „internationale Arbeitsteilung“ für sich nutzen konnten.

Diese Form der Arbeitsteilung hat im Laufe der Zeit spezielle Muster angenommen, wobei gravierende regionalen Unterschiede entstanden sind bzw. verfestigt wurden.  Mit Indikatoren wie einer Partizipationsrate lässt sich das auch ganz gut illustrieren. So entfallen immerhin über 70 % der globalen Wertschöpfung auf die EU, USA, China und Japan. Die 47 sogenannten „least developed countries“ sind davon jedoch weitgehend ausgeschlossen – wenngleich sie in die Produktschöpfung integriert sind. Noch mehr zum Thema rund um wirtschaftliche Entwicklung findet ihr übrigens auch in der vorherigen TheorieSnippet-Reihe.

„So fokussieren sich Großkonzerne aus dem Globalen Norden auf die besonders wertschöpfenden Aktivitäten, also u.a. Forschung und Entwicklung, Produktdesign oder auch Branding. Arbeitsintensive Produktionsschritte werden je nach Kostenvorteilen der Standorte immer stärker untergliedert, also fragmentiert.“

Um herauszufinden, welche Wege Waren vom Produktdesign bis zur Entsorgung zurücklegen, welche Abhängigkeiten zwischen ‚Globalem Norden‘ und ‚Globalem Süden‘ bestehen und welche Entwicklungsmöglichkeiten den Herstellerländern aufgrund der Verflechtung mit anderen Produktionsstandorten zur Verfügung stehen, entstand in den 90er-Jahren ein neues, interdisziplinäres Forschungsfeld. Geprägt war das von einem entwicklungsökonomischen Erkenntnisinteresse. Dabei ist die räumliche Dimension dieser Fragen natürlich auch sehr für Geograph:innen sehr interessant. Denn wer wo und wie innerhalb dieser Prozesse Werte schafft und sich aneignen kann, stellte eine der zentralen Leitfragen dieses Forschungsfeldes dar.

Aufbauend auf den Arbeiten von Immanuel Wallerstein und Terence Hopkins, die den Begriff der Warenkette rund 10 Jahre zuvor erstmals in den akademischen Diskurs einbrachten, waren es dann Sozialwissenschaftler:innen um Gary Gereffi und Miguel Korzeniewicz, welche die Theorie Globaler Warenketten (Global Commodity Chains – GCC) entwickelten.

„Der Großteil der Forschung, die in diesem Rahmen entstanden ist, befasst sich dabei mit der Steuerung (also Governance) in den GCCs. Hier tauchen sogenannte Leitunternehmen (lead firms) auf. Leitunternehmen gehören zu den mächtigsten AkteurInnen der Warenketten, weil sie in der Lage sind, die Wertschöpfung und -verteilung maßgeblich zu lenken.“

Grundlegend wird bei GCCs eine recht einfache Unterteilung der Warenketten in produzenten- und käufergesteuerte (producer- and buyer driven) vorgenommen. Die produzentengesteuerten Warenketten sind hier durch vertikale Integration fast aller Arbeitsschritte im Unternehmen gekennzeichnet. Nur besonders arbeitsintensive Aktivitäten werden von externen Unternehmen, wie z.B. einzelne Zulieferer, wahrgenommen. Durch standardisierte Massenproduktion und Fließbandarbeit gekennzeichnet, zeigt sich hier noch das bekannte fordistische Produktionsmodell. In besonders kapitalintensiven Sektoren wie der Luft- und Raumfahrt finden wir dieses Modell auch heute noch. Demgegenüber stehen die sogenannten käufergesteuerten Warenketten. Dort konzentrieren sich Leitunternehmen vorwiegend auf Design, Marketing und Vertrieb. Ein weit gestreutes Netz an Zulieferern ist für den gesamten Produktionsablauf verantwortlich. Diese Warenketten beinhalten somit post-fordistische Produktion(en) und flexible Spezialisierung(en). Lead firms sind hierbei in der Lage, Unternehmungen in verschiedenen Ländern zu kontrollieren, ohne sie dabei besitzen zu müssen.

Nicht zuletzt aufgrund seiner begrenzten Komplexität wurde der Ansatz jedoch in den folgenden Jahren und im Wesentlichen von Gary Gereffi, John Humphrey und Timothy Sturgeon zu den Globalen Wertschöpfungsketten (Global Value Chains – GVC) weiterentwickelt. In dem Zusammenhang wurden die Governanceformen nochmal stärker differenziert und Potentiale des wirtschaftlichen Upgradings identifiziert. Wirtschaftliches Upgrading beschreibt die Möglichkeit von Unternehmen, als Teil einer Wertschöpfungskette zukünftig höherwertige  Leistungen zu erbringen und Aktivitäten wahrzunehmen, die es ihnen erlauben, stärker an der Wertschöpfung teilzuhaben. Aufgrund der engen Verknüpfung zwischen Upgradingpotential und Art der Macht- und Kontrollausübung sollte die Governance also erneut im Fokus der Autoren stehen.

Dahingehend wurden abhängig vom Maß der Wissenskomplexität, der Kodifizierbarkeit des Wissen und der Kompetenzen der Akteur:innen fünf Idealtypen formuliert, wie sie in den Abbildungen 1 und 2 illustriert sind. Neben einem Bedarf an Koordination unterscheiden sich die resultierenden Governanceformen besonders in Bezug auf ihre Machtasymmetrien. Besonders hoch sind diese Asymmetrien in den hierarchischen Modellen. In dieses ist zwar fast die gesamte Wertschöpfungskette räumlich verteilt, aber vertikal in einem Unternehmen integriert. Das ähnelt demzufolge den produzentengesteuerten Warenketten. Da etwa ein Drittel des weltweiten Handels ebenfalls innerhalb von Unternehmen stattfindet, ist diese Form der Governance also auch in der Realität am häufigsten anzutreffen. Wie sich die Dynamiken innerhalb solcher Ketten im Laufe der Zeit prinzipiell aber auch verändern, hört ihr im Podcast.

Links: Variablen und Governanceformen im Global Value Chain-Ansatz (Bathelt & Glückler 2020); Rechts: Zentrale Merkmal der idealtypischen Governanceformen (Bathelt & Glückler 2020).

Das bereits angesprochene wirtschaftliche Upgrading kann sich ebenfalls innerhalb dieses „Governance-Spektrums“ vorgestellt werden. Von der Verbesserung von Prozessen und Produkten bis hin zur Integration vor- und nachgelagerter Produktionsschritte – hier lässt sich quasi ein „Hochwandern“ entlang der verschiedenen Governanceformen beobachten. Theoretisch wurde somit eine Art Roadmap von den Autoren entwickelt: wie man es vom abhängigen Zulieferer zum Leitunternehmen schafft. In der Praxis sieht das jedoch meist anders aus. Denn nur selten haben jene Zulieferer ihre Entwicklungsschritte tatsächlich in der eigenen Hand. Im Gegenteil, oft kann nur auf äußere Umstände reagiert werden. Fortschritte sind dabei selten nachhaltig, sondern zumeist temporär und ziehen teilweise sogar sogenanntes Downgrading nach sich.

„Zudem geht wirtschaftliches Upgrading nicht zwangsläufig mit sozialem Upgrading einher. Denn steigende Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen sind meist nicht das Hauptinteresse der Konzerne. Denn wenn wir uns an den Anfang der Folge erinnern, sind die Lohnunterschiede ja ein Hauptgrund dafür, dass der jeweilige Produktionsstandort von einem Leitunternehmen ausgewählt wurde.“


Verwendete Literatur:

Besonders zu empfehlen:

  • Fischer, Karin; Reiner, Christian; Staritz, Cornelia (Hg.) (2021): Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung. Arbeit, Kapital, Konsum, Natur. Wien: Mandelbaum Verlag.
  • Bathelt, Harald; Glückler, Johannes (2018): Wirtschaftsgeographie. Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive. Stuttgart: UTB.
  • Suwala, Lech (Hg.) (2023): Schlüsselbegriffe der Wirtschaftsgeographie. 1. Auflage. Stuttgart: UTB.

Grundlagenliteratur:

  • Hopkins, Terence; Wallerstein, Immanuel (1986): Commodity Chains in the World-Economy Prior to 1800. In: Review (Fernand Braudel Center) 10 (1), S. 157–170. (Konzeptualisierung der “Warenkette”, Grundlage für GCC)
  • Gereffi, Gary; Korzeniewicz, Miguel (Hg.) (1994): Commodity Chains and Global Capitalism. Westport: CT: Greenwood Press. (Grundlagen der Global Commodity Chains)
  • Gereffi, Gary; Humphrey, John; Kaplinsky, Raphael; Sturgeon, Timothy J. (2001): Introduction: Globalisation, Value Chains and Development. In: IDS Bulletin 32 (3), S. 1–8. (Grundlagen der Global Value Chains)
  • Gereffi, Gary; Humphrey, John; Sturgeon, Timothy (2005): The governance of global value chains. In: Review of International Political Economy 12 (1), S. 78–104. (Grundlagen der Global Value Chains)
  • Humphrey, John; Schmitz, Hubert (2002): How does insertion in global value chains affect upgrading in industrial clusters? In: Regional Studies 36 (9), S. 1017–1027 (Grundlagen zum wirtschaftlichen Upgrading)

Links zur aktuellen Folge