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Warum lokale Ökonomie für Städte und Quartiere so bedeutend ist

Mit dieser Folge von SpacEconomics startet die neue Podcast-Reihe „Dialog zum Buch“: Björn Braunschweig spricht mit den HerausgeberInnen des Handbuches „Lokale Ökonomie“, Dr. Susann SchäferProf. Dr. Sebastian Henn und Dr. Michael Behling. Sie thematisieren,

  • was lokale Ökonomie ist und was sie ausmacht,
  • welche Bedeutung die lokale Ökonomie für die Lebensqualität in Städten hat,
  • weshalb die Beschäftigung mit lokaler Ökonomie insbesondere für die Stadtplanung wichtig ist,
  • welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die lokale Ökonomie hat und
  • was das Handbuch besonders macht und für wen es lesenswert ist.

Schreibt uns für Fragen, Kommentare und Anregungen gern an:

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The Longer Read

Im vergangenen Jahr erschien das Handbuch „Lokale Ökonomie – Konzepte, Quartierskontexte und Interventionen“ im Springer Verlag, herausgegeben von Prof. Dr. Sebastian Henn, Dr. Michael Behling und Dr. Susan Schäfer. Als Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeographie an der FSU Jena gehören lokale Ökonomien zu Prof. Dr. Henns Forschungsschwerpunkten. Dr. Behling hingegen kommt aus der Praxis – er ist Gründer des Beratungsbüros Behling-Consults und berät Kommunen unter anderem im Bereich Stadtentwicklung.  Ergänzt wird die Zusammenarbeit von Dr. Schäfer. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie an der FSU Jena und bereicherte das Handbuch durch ihre Expertise im Bereich Migration und sozialwissenschaftlicher Klimaanpassungsforschung.

„Lokale Ökonomie ist ein Phänomen, das es an vielen Orten gibt und über das viel geredet wird, aber zu dem es auch viele Deutungsmöglichkeiten gibt. Aus der Beobachtung dieser Tatsache heraus entstand die Idee zu einem Handbuch, das Theorie, Theorieentwicklung und praktische Anwendung zum Thema ‚lokale Ökonomie‘ in sich vereint“ – Dr. Michael Behling

Es gibt drei wesentliche Zugänge zu lokaler Ökonomie. Der erste Ansatz sieht lokale Ökonomie als das, was innerhalb eines geographisch umgrenzten Bereiches an Ökonomie anzutreffen ist. Ein etwas normativerer Ansatz hingegen sieht in ihr etwas, was der globalen Wirtschaft entgegenwirkt: Kleinräumige Aktivitäten, die zum Ziel haben, abgehängte Personen zu beschäftigen. In dieser Sichtweise sind lokale Ökonomien zunächst all jene Ökonomien, die nicht global sind. Was genau ‚lokal‘ bedeutet, ist hingegen nicht abschließend definiert. Der dritte Zugang, der auch Ausgangspunkt für das besprochene Handbuch darstellt, fasst unter lokaler Ökonomie diejenigen ökonomische Aktivitäten zusammen, welche in einem bestimmten Stadtteil anzutreffen sind. Damit wirklich von lokaler Ökonomie gesprochen werden kann, müssen die betrachteten Einheiten zwei wesentliche Merkmale aufweisen: Zum einen müssen sie über ein unternehmerisches Konzept verfügen. Das bedeutet beispielsweise die Bereitschaft der UnternehmensinhaberIn, Risiken einzugehen und Geschäftsmodelle oder Finanzierungspläne zu entwerfen. Des Weiteren muss das Unternehmen in einem Stadtteil verankert sein. Dies meint nicht einfach eine bloße Lokalisation im Stadtteil, sondern auch eine soziale Verankerung. Ein hoher Anteil der KundInnen, ZuliefererInnen und Beschäftigten sollte also aus dem betreffenden Stadtteil kommen. Unternehmen, die diese Kriterien erfüllen, sind in der Regel sehr einfach strukturiert und haben auch einfache Geschäftsmodelle. Das klassische Beispiel ist der ‚Tante Emma Laden‘, aber auch Spätis, Gastronomie oder sonstige Läden wie etwa Apotheken oder Reisebüros zählen zur lokalen Ökonomie.

„Wir haben versucht, verschiedene Dimensionen der lokalen Ökonomie zu adressieren, beginnend mit konzeptionellen Inputs bis hin zu praktischen Ausführungen. Damit wollten wir eine Art ‚eierlegende Wollmilchsau‘ entwickeln. Ein Buch, das verschiedenen Ansprüchen genügen kann: Als Lehrbuch, Nachschlagewerk und als Stütze in der Praxis.“ – Dr. Susan Schäfer

Das Handbuch ist in vier Blöcke geteilt: Begonnen wird mit Grundlagen und Konzepte, um die theoretischen Rahmenbedingen abzustecken und analytische sowie empirische Methoden zur Analyse ökonomischer Aktivitäten auf Stadtteileben vorzustellen. Im zweiten Teil werden verwandte Konzepte zur theoretischen Perspektiverweiterung dargestellt. Hierbei handelt es sich etwa um migrantische Ökonomien und Social Entrepreneurship. Darauf aufbauend wird der Quartierskontext thematisiert. Dies geschieht über spezifische Prozesse innerhalb lokaler Ökonomien wie beispielsweise der Zusammenhang zwischen Unternehmens- und Quartiersentwicklung, Innovationen, Gentrifizierung und Energieversorgung des betreffenden Stadtteils. Abschließend werden im Abschnitt ‚Intervention‘ politische Steuerungsmöglichkeiten und andere Einflussfaktoren von lokalen Ökonomien aufgegriffen.

„Eine florierende lokale Ökonomie trägt wesentlich zur Lebensqualität in Städten bei. Daher birgt die Auseinandersetzung mit lokaler Ökonomie für die Stadtplanung große Potenziale“ – Prof. Dr. Sebastian Henn

Gerade in benachteiligten Stadtteilen füllen klein Unternehmen als Teile der lokalen Ökonomie leerstehende Gebäude, stellen die Nahversorgung sicher, und fungieren als soziale Treffpunkte. Damit werten sie Standorte auf und beleben Stadtviertel.  Eine stabile lokale Ökonomie bedeutet Lebensqualität, auch wenn sie an der wirtschaftlichen Gesamtleistung einer Stadt nicht wesentlich beteiligt ist.

Ein weiterer Aspekt in Hinblick auf die soziale Funktion lokaler Ökonomie steckt in den Arbeitsplätzen innerhalb der lokalen Ökonomie. Ein großer Teil der UnternehmerInnen hat Migrationserfahrung, die Gründungsquoten unter MigrantInnen ist deutlich höher als unter Menschen, die in Deutschland geboren sind und die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Dies führt auch dazu, dass das Angebot beispielsweise durch spezielle Lebensmittelgeschäfte oder kulinarische Ausrichtungen von Gastronomien deutlich vielfältiger wird und eine Interkulturelle Interaktion und Kommunikation entstehen kann.

„MigrantInnen haben leider oft Schwierigkeiten, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Der Gang in die Selbständigkeit kann daher oft bedeuten, der Arbeitslosigkeit zu entkommen.“ – Dr. Susan Schäfer

Eine grundsätzliche Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass Unternehmen der lokalen Ökonomie aus sind heraus nur bedingt wachstumsfähig sind. Das liegt besonders daran, dass die UnternehmensinhaberInnen bestimmte Kenntnisse nicht haben, etwa im Bereich Finanzierung oder Organisation. Daher gibt es viele Ansatzpunkte für mögliche Förderungen.

„Schon länger war klar: Man könnte einiges durch Förderung der lokalen Ökonomien erreichen. Durch Corona ist nun klar: Wir können nicht nur, wir müssen etwas machen!“ – Dr. Michael Behling

Die Bedingungen für Wachstum, aber auch für Neugründungen oder Schließungen sind momentan durch die Corona-Krise stark beeinflusst. Es stellt sich die Frage, wie Unternehmen mit der Situation umgehen. Für einige könnte die Krise sogar eine beschleunigte Entwicklung bedeuteten, etwa durch eine erzwungene Digitalisierung oder eine größere Vielfalt im Angebot und in der Vermarktungsstrategie. Dies setzt aber voraus, dass die UnternehmerInnen fähig und bereit zu Innovation sind. Insgesamt ist die Sitution schwierig und der Ausgang ist für viele UnternehmerInnen ungewiss. Welche langfristigen Auswirkungen für die Quartiere daraus enstehen, ist ebenso unvorhersehbar.

Es besteht Handlungsbedarf seitens der Politik und Stadtplanung. Welche Möglichkeiten der Förderung bestehen, gilt es nun auszutarieren.  Die Politik muss sich dabei nicht nur  fragen, wie  sie die lokale Ökonomie unterstützen will, sondern auch,  inwieweit sie sie unterstützen kann. Es besteht die Gefahr, durch übertriebene Förderung den für die Wirtschaft wichtigen Wettbewerb zu stark zu manipulieren – aber es gibt auch das große Potenzial einer erhöhten oder wenistens stabilen Lebensqualität durch eine gesunde lokale Ökonomie.

„Welche Auswirkungen Corona auf die lokalen Ökonomien haben wird, wissen wir noch nicht. Wir wissen nur, dass es welche geben wird.“ – Björn Braunschweig

Zusammenfassung der Folge als Long Read von Clara Aevermann

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